KATRIN BONGARD
LOVING
Band 1 der Loving-Serie
E-Book Paperback Seiten ISBN |
3,99 € 9,99 € 296 978-3-946494-16-4 |
New Adult, All Age, Liebe
Themen: Freundschaft, Liebe, Schule, Jane Austen, Buchbloggen, Bücher, Sport, Liebe.
*Stolz & Vorurteil reloaded*
Mit dem Partyleben an der Schule hat Ella nicht viel zu tun, lieber liest sie und bloggt über Bücher. Als sich ihre beste Freundin Zoe in den Badboy der Schule verliebt, kann sie das nicht verstehen. Bis sie ihn näher kennenlernt und feststellt, dass er nicht nur extrem attraktiv, sondern auch intelligent und sensibel ist. Sich nicht zu verlieben – einfach unmöglich.
Loving
Eins
Es schneit. Vor Weihnachten keine Flocke, aber jetzt auf einmal, wo man es nicht mehr gebrauchen kann, schneit es.
»Ach ja, Frühling!«, seufzt Zoe und hat diesen besonderen Ton in der Stimme, während wir auf den Eingang unserer Schule zulaufen.
Zoe ist seit dem Kindergarten meine beste Freundin, und ich kenne sie zu gut, um ihre Andeutung nicht zu verstehen.
»Okay, wer ist es diesmal?«
Zoe reißt ihre großen blauen Augen auf. Das kann sie gut, aber bei mir kommt sie damit nicht durch. Doch da wir uns gerade mitten durch die vor der Schule stehenden Schüler drängen, ist es nicht der richtige Augenblick, das Thema weiter zu diskutieren.
»Hauptsache, er hat keine Freundin!«, flüstere ich, da Zoe eine Expertin darin ist, sich unglücklich zu verlieben.
Sie zuckt entschuldigend mit den Schultern.
Am Morgen vor dem Unterricht sammeln sich alle Schüler in der großen Eingangshalle. Ich mag den riesigen Altbau unseres Gymnasiums mit den Steinsäulen und den breiten Treppen und Nebenaufgängen. Hier könnten Bücher verfilmt werden.
»Ella?« Zoe schnippt vor meinem Gesicht herum. »Hörst zu mir überhaupt zu?«
Zugegeben, zu neunzig Prozent des Tages bin ich in Gedanken.
»Natürlich. Du wolltest mir gerade sagen, wer es ist und warum du dich gerade in ihn verlieben musstest.«
Zoe seufzt. »Das habe ich nicht gesagt.«
»Okay, das mit dem warum habe ich erfunden, aber wieso musst du dich immer in jemanden verlieben, der eine Freundin hat? Ich meine, schau dich um, es gibt so viele Jungs ...«
Zoe grinst. »Ausgerechnet du musst das sagen!«
Stimmt. Ich verliebe mich sehr selten. Ich lasse meinen Blick durch die Halle schweifen und suche nach einem Jungen, der nett, sympathisch, gut aussehend und – soweit man das von außen beurteilen kann – humorvoll ist und gleichzeitig so aussieht, als ob er keine Freundin hätte.
»Der vielleicht?«
»Der ist mit Susanna zusammen.«
Ich sehe sie fragend an.
»Die mit uns in Bio ist«, ergänzt Zoe.
Okay. Ich habe wenig Ahnung von all dem Schultratsch, wer mit wem zusammen ist oder zusammen war, und wenn Zoe mich nicht gelegentlich darüber aufklären würde, würde das alles an mir vorbeigehen.
Ich kapituliere. »Okay, sag mir, wer es ist.«
»Du hast mit ihm Deutsch.«
Ich scanne im Kopf den Leistungskurs Deutsch durch. Nach einem halben Jahr kenne ich natürlich alle Namen, wobei ich nicht immer ein passendes Gesicht dazu sehe, eher eine Meinung oder eine Bemerkung zu einem Gedicht oder Buch.
»Hilf mir!«, sage ich, doch Zoe stößt mich an und legt die Finger auf die Lippen.
Melanie steuert auf uns zu. Sie sieht dabei nur Zoe an, ich bin für sie Luft, das kenne ich schon.
»Kommst du zu Patricks Party?«
»Was für eine schöne Alliteration!«, sage ich freundlich und auch, weil ich weiß, dass ich Melanie damit ein wenig ärgern kann, da sie keine Ahnung hat, was eine Alliteration ist. Nicht, weil ich zu der Party eingeladen werden möchte, aber ich kann es nicht leiden, wenn Menschen mich wie Luft behandeln. Melanie ist groß und platinblond und hat einen perfekten Busen, den sie gerne durch einen weiten Ausschnitt betont.
»Klar, komme ich!«, sagt Zoe und wird rot vor Aufregung. Sie sieht zu mir.
»Klar, komme ich nicht mit!«, sage ich.
Melanie nickt befriedigt und zieht weiter.
»Musst du immer so gemein zu ihr sein?«, fragt Zoe.
»Moment Mal, wenn ich das richtig sehe, hat sie mich gerade ignoriert!«
»Du schüchterst sie eben ein.«
»Womit?«, frage ich ehrlich erstaunt.
Ich bin nicht sehr groß, habe mittelblonde Haare, die mit mir machen, was sie wollen, einen eher kleinen Busen, und dazu trage ich keine Kontaktlinsen wie Melanie, weil ich sie nicht vertrage und muss dafür mit einer dicken Brille durch die Gegend laufen. Die ich, nebenbei bemerkt, hasse, weil sie mich stört, ständig beschlägt, wenn ich aus der Kälte irgendwo hereinkomme, und mich komplett in ein Klischee verwandelt: Bücherwurm, Brillenschlange.
»Mit deiner Intelligenz?«, sagt Zoe.
»Mein Gott, dieser komische Test ist doch schon hundert Jahre her!«
»Es ist seltsam, dass ihr euch nicht versteht, ihr habt eigentlich eine ganze Menge gemeinsam«, sagt Zoe, die gut mit Melanie befreundet ist.
»Dich als Freundin und grüne Augen, nur dass man meine hinter diesen Flaschenböden leider nicht erkennen kann.«
Zoe grinst. »Vor allem seid ihr verdammt stolz. Ihr seid meine besten Freundinnen, wieso könnt ihr euch nicht einfach vertragen?«
Ich seufze. Ich bin einfach kein Mensch, der viele Freunde hat und wenn, dann sollten sie mich zumindest mögen. Das ist doch nicht zu viel verlangt, oder?
»Okay, wer ist es, und was sagt Melanie dazu?«
»Das ist das Problem ...«
»Melanie mag ihn nicht?«
Zoe beugt sich leicht über meine Schulter und flüstert. »Sie ist mit ihm zusammen.«
OMG. »Warum?«
»Weil er süß ist.«
»Nein, ich meine, warum ausgerechnet der Freund von Melanie?«
Zoe blinzelt. »Du weißt, wer er ist, oder?«
»Äh ...«
Melanie ist etwa alle vier Wochen mit einem anderen Typ zusammen, da fällt es schwer auf dem neusten Stand zu sein.
Zoe macht eine Kopfbewegung und läuft rot an. Ich ahne, dass er dort steht, vermutlich bei Melanie.
»Nicht umdrehen!«, zischt Zoe, als ich mich etwas bewege.
»Wie soll ich ihn sonst sehen? Ich dachte, ich soll ihn ausspionieren, oder?« Natürlich verstehe ich jetzt auch, warum Melanie das diesmal nicht tun kann.
»Okay, aber ganz unauffällig«, wispert Zoe.
Ich bin mir ziemlich sicher, dass ich für die meisten Schüler in dieser Halle Luft bin, also mache ich mir darüber keine Sorgen. Trotzdem verschwinde ich Zoe zuliebe hinter einer der Steinsäulen und drehe mich erst dann um.
Okay. Luca. Ausgerechnet. Groß, breitschultrig, dunkle Haare, Schwimmer, was ich deshalb weiß, weil er zum Leistungskurs Deutsch am Dienstag immer zu spät und mit nassen Haaren kommt. Er hat vorher Sport. Im Unterricht fällt er dann nicht weiter auf, er hängt nur auf seiner Bank und schläft mit offenen Augen.
»Warum ausgerechnet er?«, frage ich pathetisch.
»Er macht Parcour und skatet.«
»Und?«
»Er ist einfach total süß. Und schau dir an, wie er aussieht. Melanie sagt, er küsst besser als alle Jungs vorher und ...«
»Was?«
Zoe beugt sich weit zu mir. »Sex mit ihm muss der Wahnsinn sein. Melanie hat gesagt, sie möchte, dass er sie entjungfert. Er soll ihr Erster sein.«
Okay, aber sie ist nicht seine Erste. Obwohl ich dem Schultratsch keine Aufmerksamkeit schenke, das habe ich schon mitbekommen.
Luca ist der heißeste Typ unserer Schule.
»Bist du dir wirklich sicher, dass du alles über ihn wissen willst?«
Zoe nickt.
Ich sehe, wie verliebt sie ist und umarme sie spontan. »Gut, dann finde ich alles über ihn heraus.«
Es klingelt zur nächsten Stunde.
»Ich muss los!«
»Warte!« Zoe hält mich fest.
»Ja?«
»Du hast doch Deutsch mit ihm. Was interessiert ihn? Ich muss wissen, über was ich mit ihm reden kann.«
»Reden?«
Zoe wird rot.
Wenn die Gerüchte über Luca stimmen, dann hat er fast jedes Mädchen der Schule über sechzehn schon gehabt.
»Echt jetzt: Reden?«
Die Halle ist mittlerweile leer.
»Okay, wir sehen uns in der Pause!«, sage ich. Ich muss in den zweiten Stock und will nicht zu spät kommen. Zoe nickt, und ich renne die Treppe hoch. Im ersten Stock bleibe ich außer Atem stehen und verschnaufe. Überall schließen sich die Klassentüren. Ich werde zu spät kommen.
Vor dem Englischraum stehen Luca und Melanie. Sie küssen sich und sind so eng ineinander verschlungen, dass ich mich frage, ob sie gleich hier auf dem Schulflur Sex miteinander haben werden. Leider stehen sie genau vor der Tür, sodass ich nicht in den Unterricht komme. Ich stehe etwas abseits und warte. Es ist unmöglich, nicht hinzusehen. Luca bemerkt meinen Blick.
»Ist was?«
»Nein, esst ruhig weiter.«
Er kneift die Augen zusammen. Melanie dreht sich zu mir um.
»Wir haben Englisch«, sage ich und deute auf die Tür.
Sie zuckt mit den Schultern und zieht Luca an sich. »Vielleicht schwänze ich ...«
Ich gehe auf die Tür zu. »Könnte ich dann vielleicht?«
»Streberin!«, zischt sie.
Luca löst sich aus der Umarmung mit Melanie. Unsere Blicke begegnen sich, und ich zucke nur mit den Schultern. »Wegen mir könnt ihr schwänzen, ich werde niemanden verpetzen.«
»Bis gleich!«, sagt Luca zu Melanie.
Sie seufzt.
Ich denke an Zoe, bemühe mich, nett zu sein, lächele freundlich und lege die Hand auf die Klinke.
»Bereit?«
Zwei
Unser Haus ist ein Glas-Beton-Quader, der schon mehrere Designpreise gewonnen hat und so viel Wärme wie ein Eiswürfel ausstrahlt. Die Architektur ist wirklich großartig, aber was hat sich der Architekt dabei gedacht, das Haus rundherum mit einer Glasfront zu versehen? Meine Mutter musste nach dem Einzug Gardinen nähen lassen, damit wir uns am Abend in unserem offenen Küchen- und Wohnbereich nicht wie Ausstellungsstücke in einer Glasvitrine vorkommen. Mein Zimmer liegt zum Glück im ersten Stock und geht zum Garten raus.
Meine Eltern haben eigentlich wenig Sinn für Design, aber ein guter Freund meines Vaters hat das Haus extra für ihn entworfen, mit einem Platz auf dem Dach für sein Teleskop und lauter netten Details, die ihn an seine Arbeit als Astronom erinnern, wie einen Sternenhimmel über dem Ehebett, eine Solaranlage auf dem Dach und ein großes Planetenmodell, das an der Decke unseres Wohnbereichs hängt.
Als ich unser Haus betrete, ist es totenstill, und ich lege eine CD in unsere Anlage, damit ich mich nicht so allein fühle. Ich habe mir immer Geschwister gewünscht, ich denke, alle Einzelkinder tun das. Einen kleinen Bruder, den ich verwöhnen kann, eine große Schwester, die mich auf das vorbereiten kann, was mich ein paar Jahre später erwartet. Wenn ich aus der Schule nach Hause komme, fehlen mir Geschwister am meisten. Niemand da, der mit mir redet, mit mir rumalbert oder einfach nur YouTube-Videos ansieht.
Ich glaube, hauptsächlich aus diesem Grund habe ich einen Buchblog und mir meine eigene kleine Community im Netz aufgebaut. Sobald ich online gehe, treffe ich auf Leute, die mich kennen und mit denen ich reden, schreiben, mich austauschen kann.
Ich spurte die Treppe hoch, knalle meine Tasche in die Ecke und fahre meinen Mac hoch. Als Erstes sehe ich nach, ob es neue Kommentare oder Nachrichten gibt. Klar, von Alex. Sie ist meist die Erste und hat mir einen Kommentar zu meinem Blogbeitrag über Oliver Twist geschrieben. Ich finde es interessant, dass das Buch heute zur Weltliteratur zählt, damals aber einfach als Fortsetzungsgeschichte in einer Zeitung erschienen ist. Im Grunde hat Charles Dickens sein Buch also gebloggt, und wenn er heute leben würde, wäre er bestimmt Blogger.
Coole Idee.
Hältst Du das Buch für Kitsch
oder gute Literatur?
Alex´ Blog habe ich erst vor Kurzem entdeckt. Ich glaube, sie ist älter als ich, denn ihre Kommentare sind immer sehr anspruchsvoll. Sie liest hauptsächlich Erwachsenenliteratur und bloggt über Filme, und auch darum folge ich ihrem Blog. Sie verlangt mir mehr ab, als alle anderen Bloggerfreunde, und das gefällt mir.
Kitsch oder gute Literatur? Aus dem Bauch heraus würde ich sagen: Keines von beiden, vielleicht gute Unterhaltungsliteratur, aber wenn ein Autor einmal so berühmt und bekannt wie Charles Dickens ist, dann darf man das wohl nicht mehr sagen, oder?
Ich werfe einen Blick auf meinen SUB neben dem Schreibtisch. Ich hätte nie gedacht, dass der Stapel meiner ungelesenen Bücher jemals höher als mein Schreibtisch werden würde. Obwohl ich kein Fantasy-Fan bin und daher nur Bücher lese und bespreche, die keine Trolle, Zauberer oder sonstige magische Wesen enthalten, wird der Stapel von Tag zu Tag höher. Es gibt einfach zu viele Bücher, die mich interessieren!
Keins von beidem,
was denkst Du?
poste ich schließlich. Leider ist Alex vermutlich gerade nicht online, was ich nicht bei Facebook überprüfen kann, da sie Facebook ablehnt.
Ich überlege, ob ich mir noch eine DVD ansehen soll. Zoe hat mir die ersten Staffeln der Vampire Diaries ausgeliehen, und ich bin süchtig geworden. Ich schätze, das darf ich Alex auf keinen Fall erzählen.
Ich nehme meine Brille ab und reibe mir die Augen. Wenn es irgendwie geht, trage ich die Brille nicht, obwohl das eigentlich nur zu Hause möglich ist, wo ich mich gut auskenne, denn ich bin so stark kurzsichtig, dass die Welt schon einen Meter entfernt von mir zu verschwimmen beginnt. Meine Mutter glaubt, dass ich vom vielen Lesen unter der Bettdecke bei schlechtem Licht kurzsichtig geworden bin, mein Vater, der selber stark kurzsichtig ist, meint, es läge in der Familie. Ich wäre einfach nur froh, wenn ich diese Brille los wäre, die mir Kopfschmerzen bereitet. Ganz zu schweigen davon, dass sie mich nicht gerade hübscher macht.
Ich werfe mich auf mein Bett und lege meine Hände auf die Augen. Alles wird schwarz, und ich atme tief ein. Bin ich einsam? Werde ich jemals irgendwen treffen, der sich in mich verliebt? Ich reiße die Hände von meinen Augen und schlage die Augen auf. Was ist los mit mir? Bin ich zu viel allein? Sitze ich zu oft vor dem Computer? Bin ich etwa einsam?
Zoe will mich ständig überreden, mal auf eine dieser Partys zu gehen. Jetzt wird sie es vermutlich sogar von mir erwarten, denn irgendjemand muss ihr Deckung geben, wenn sie Luca beobachtet. Ich seufze. Ich liebe Zoe wirklich, und selbst mit Melanie könnte ich in einer fernen dystopischen Welt irgendwie klarkommen, aber warum muss sich Zoe ausgerechnet in den Freund von Melanie verlieben? Das bringt doch nur Schwierigkeiten! Freunde von Freundinnen sind tabu. Wobei Zoe vermutlich überhaupt nicht vorhat, Melanie den Freund auszuspannen. Sie ist einfach nur gerne unglücklich verliebt. Was sie natürlich niemals zugeben würde.
Ich höre ein Auto in die Auffahrt fahren und richte mich auf. Es hört sich nach dem Mini meiner Mutter an. Sie arbeitet wie mein Vater im Zentrum für Astronomie und Astrophysik in Berlin, aber sie kommt immer etwas früher nach Hause. Er ist der Direktor des Zentrums, und sie ist Abteilungsleiterin des Instituts für Planetenforschung. Obwohl ich nicht mehr fünf, sondern sechzehn bin und sehr gut auf mich selber aufpassen kann, bin ich froh, dass meine Mutter kommt. Endlich jemand, mit dem ich reden kann.
Meine Mutter packt zwei Klappkörbe mit Einkäufen aus. »Ich dachte, du machst den Salat und ich bereite den Auflauf vor?«
»Okay. Wann kommt Papa?«
»Gegen acht.«
Ich helfe meiner Mutter gerne beim Kochen. Meist reden wir dann über die Dinge, die ich am Abendbrottisch nicht mehr ansprechen möchte, weil es eher Frauensachen sind.
»Warst du früher auch ständig verliebt?«, frage ich, während ich eine Salatgurke schäle.
Meine Mutter schaut mich fragend an, und ich wehre schnell ab.
»Nein, nicht ich. Zoe.«
Sie lächelt. »Wieder unglücklich?«
Ich nicke. »Und du?«
»Ich? Nein. Mich haben früher andere Dinge interessiert. Jungs, okay, ich war schon manchmal verliebt, aber ich war ehrgeizig, wollte Karriere machen, und die meisten Jungs in meiner Umgebung haben eher nach einem Mädchen Ausschau gehalten, das sie heiraten können und das ihnen den Haushalt macht.«
»Und Papa?«
»Den habe ich ja erst viel später getroffen. Also nach dem Studium. Und er war ja auch zehn Jahre älter. Warum fragst du?«
Ich zucke mit den Schultern. Ich habe immer gedacht, Zoe wäre besonders, weil sie immer verliebt ist, aber in letzter Zeit kommt es mir so vor, als ob sie normaler ist als ich. Wieso verliebe ich mich so selten? Sicher, das ein oder andere Mal war ich auch verliebt, aber meist haben mich die Jungs dann doch schnell gelangweilt.
»Die Gurke ist, glaube ich, genug geschält«, sagt meine Mutter. Ich wache aus meinem Tagtraum auf und stelle fest, dass ich sie bis auf die Kerne heruntergehobelt habe.
Wir essen zu dritt zu Abend.
»Sie wollen jetzt Rohstoffe von Asteroiden holen«, sagt mein Vater.
»Private Geldgeber«, bemerkt meine Mutter.
Sie haben eine Art Steno-Sprache, mit der sie ihre Gespräche aus dem Institut einfach fortsetzen. Ich könnte jetzt fragen, wer sie sind und wie viel Geld es wohl kostet, aber eigentlich bin ich überhaupt nicht angesprochen.
»Ich gehe schon nach oben«, sage ich und schiebe meinen Stuhl zurück.
»Warte mal«, sagt mein Vater und lächelt meiner Mutter zu. Ich setze mich wieder, und er schaut mich direkt durch seine dicken Brillengläser an.
»Was wünscht du dir eigentlich zum Geburtstag?«
Okay, ich werde siebzehn. Ich kann ziemlich genau sagen, was ich mir wünsche. Ferien und jemanden, in den ich mich richtig verlieben kann. Aber Ferien hatte ich gerade.
»Bücher?«, schlage ich vor. »Ich habe eine Wunschliste.«
Meine Eltern sehen mich abwartend an. Ich bekomme viel Taschengeld, ich habe eigentlich keine materiellen Wünsche.
»Oder eine DVD?«
»Nichts anderes?«, fragt mein Vater und sieht mich prüfend an.
Ich zucke mit den Schultern. »Vielleicht fällt mir ja noch was ein, ist doch noch Zeit.«
Ich habe am ersten Februar Geburtstag, und normalerweise fragen sie mich drei Tage vorher, damit sie Bücher, CDs oder DVDs im Internet bestellen können.
»Na, dann freu dich dieses Jahr mal auf etwas ganz Besonderes«, sagte meine Mutter und zwinkert mir zu. Langsam wird mir das unheimlich.
Oben in meinem Zimmer wird mir klar, dass ich mir vielleicht wirklich ein paar Gedanken zu meinem Geburtstag machen sollte.
Immerhin werde ich siebzehn. Als ich fünfzehn war, war ich mir sicher, dass ich mit siebzehn nicht nur einen Freund, sondern viel Sex und jede Menge Erfahrungen haben würde. Wie komme ich an Erfahrungen, wenn ich nur in meinem Zimmer hocke?
Vielleicht sollte ich feiern? Dieses Jahr liegt mein Geburtstag genau vor den Winterferien. Da sind natürlich alle verreist. Also danach. Ich werde mir einfach eine Party von meinen Eltern wünschen.
Drei
»Auch einen Toast?«, fragt meine Mutter.
Ich habe meine Brille noch nicht auf und blinzele aus dem Fenster. Es schneit schon wieder.
Normalerweise sitze ich um diese Zeit allein in der Küche, da meine Eltern immer erst später zur Arbeit fahren.
»Ich habe überlegt, ob ich eine Party mache.«
Meine Mutter sieht überrascht auf, der Toast schwebt in ihrer Hand.
»Wann?«
»Zu meinem Geburtstag. Also natürlich danach, nach den Ferien.«
Sie legt den Toast wieder ab. »Wen willst du denn einladen?«
»Ein paar Leute ... aus der Schule?«
Im Geist gehe ich eine mögliche Liste durch. Die meisten an der Schule sind okay. Und Zoe wird begeistert sein.
Meine Mutter legt den Kopf schief und überlegt.
»Wir sollten dann besser verschwinden, oder?«
»Na ja ...«
»Und ihr müsstest anschließend natürlich saubermachen.«
Ich nicke.
Zoe wartet vor der Schule. Wir haben zusammen Bio, aber es gibt eigentlich keinen Grund bis dahin draußen im Schneegestöber zu stehen.
»Lass uns reingehen.«
Sie schüttelt den Kopf, und ich kapiere. Die Schwimmer versammeln sich zur Abfahrt – es ist die Gelegenheit, Luca zu sehen. Ich bin hin- und hergerissen zwischen Verständnis und dem Wunsch, ins Warme zu kommen. Vielleicht bin ich zu stolz, aber Zoe könnte ein wenig mehr davon vertragen.
Es klingelt, ohne dass Luca aufgetaucht ist, und als wir in die Eingangshalle kommen, steht er dort und knutscht mit Melanie. Seine Arme sind unter ihrem T-Shirt, ihre Hände liegen auf seinem Hintern. Großartig. Wegen ihm habe ich draußen gezittert.
»Komm, wir gehen zu Bio und zerlegen unser Schweineauge!«, sage ich laut zu Zoe, als wir an Melanie und Luca vorbeigehen, und beide sehen kurz auf, als ob ihnen der Appetit vergangen ist.
Ich mag Bio, besonders, wenn wir etwas mit den Händen machen oder Biotope zeichnen oder einen Film sehen. Schweineaugen zu zerlegen toppt das alles eigentlich noch, obwohl auch mir etwas schlecht wird, als ich die Augen in einer weißen Plastikschale liegen sehe. Und das auf nüchternen Magen. Igitt.
Frau Reichelt malt das Modell eines Auges an die Tafel, während sich alle setzen. Jemand legt ein Auge vor Zoe und mich.
»Guten Appetit!«
Zoe wendet sich angeekelt ab. Ich weiß nicht, ob ich das kann. Ein Auge zerlegen.
»Wir können es erst einmal von außen beschreiben«, schlage ich vor. »Da ist der Glaskörper, die Hornhaut, die Regenbogenhaut.«
»Meinst du, Schweine haben unterschiedliche Augenfarben?«, fragt Zoe.
»Geh rum und überprüfe es.«
»Er hat braune Augen.«
»Wer?«
Sie zuckt mit den Schultern, und ich verstehe. Luca.
»Er kann so süß gucken!«
Ich drehe das Auge mit dem Skalpell in Zoes Richtung.
»Etwa so?«
Sie schubst mich.
Einige der Jungs sind schon mit dem Zerschneiden des Auges beschäftigt. Wir zögern immer noch.
»Ich habe die Linse!«, ruft einer, und wir sammeln uns um seinen Tisch. Auf seiner Handfläche liegt eine Art glibberiges, durchsichtiges Smartie.
»Welche Funktion hat die Linse?«, fragt Frau Reichelt.
»Sie bricht das einfallende Licht und richtet sie auf die Netzhaut aus«, sagt einer der Jungs.
Sie nickt. »Und was ist der Unterschied zur Hornhaut?«
Keiner weiß, worauf sie hinaus will.
»Die Hornhaut ist so etwas wie eine starre Linse vor dem Auge«, beantwortet sie die Frage schließlich selbst.
»Also wie eine Brille?«, fragt Zoe und sieht fragend zu mir.
Frau Reichelt lächelt. »Ja, das könnte man sagen.«
Wir gehen wieder zurück an unseren Tisch. Wir sehen auf unser Auge und das Skalpell, mit dem wir es aufschneiden sollen.
Zoe guckt mich hilfesuchend an. Ich muss das wohl machen. Ich ziehe mir Plastikhandschuhe über, setzte das Skalpell an und versuche mir vorzustellen, dass ich ein Chirurg bin, der so etwas täglich macht. Zoe beobachtet mich, als wäre ich ein Held. So fühle ich mich auch. Ich drehe das Auge so, dass es mich nicht anstarrt, jetzt sieht es mehr wie ein Fleischklumpen aus. Ich arbeite schnell und versuche, nicht einzuatmen. Der Geruch ist grausam, und ich muss mich ablenken, um nicht immer daran zu denken, dass dies ein Auge ist.
»Ich mache vielleicht eine Party zu meinem Geburtstag ...«
»Was?!«, Zoe blinzelt zwischen den Fingern vor ihrem Gesicht vor. »Echt? Das wäre ja so cool, in eurem tollen Haus.«
»Ich bin mir noch nicht sicher«, sage ich und teile das Auge vorsichtig in zwei Hälften, ohne die Linse zu beschädigen.
»Ich dachte, am letzten Wochenende in den Winterferien. Wenn alle zurück sind.«
»Ja! Wen willst du einladen?«
Ich sehe auf. »Alle, die Lust haben zu kommen.«
»Auch Melanie?«
»Klar.«
Zoe nickt zufrieden, und ich weiß, was sie denkt. Eine weitere Möglichkeit, Luca zu treffen.
Ich nehme die Linse aus dem Auge und reiche sie Zoe. Sie schüttelt den Kopf.
Frau Reichelt kommt vorbei und nickt. »Ich wusste, dass du das kannst, Ella.«
Im ersten Moment denke ich, sie meint die Party, aber natürlich geht es um das Auge. Und zugegeben, auch ich bin stolz, dass ich es geschafft habe.
In der Pause beginnt Zoe schon mit der Planung.
»Wir können uns auch verkleiden, es ist doch Fasching.«
»Eigentlich erst später.«
»Ach, ist doch egal, wäre doch lustig.«
»Es ist noch ein Monat bis dahin«, sage ich und hoffe auf einmal, dass Zoe die Sache vergisst. »Fährst du eigentlich in den Winterferien weg?«
»Nö, Skifahren war meinen Eltern zu teuer. Und du?«
»Ich bin auch hier.«
»Dann können wir alles in den Ferien vorbereiten, okay?«, sagt Zoe, und mir wird klar, dass es kein Zurück mehr gibt.
»Ich spreche mit Melanie«, überlegt sie weiter. »Vielleicht macht ihr Bruder den DJ.«
Mir ist etwas flau im Magen, denn ich bin mir immer noch nicht sicher, ob das eine gute Idee ist. Das Dumme ist, dass man nicht im letzten Moment wegbleiben kann, wenn es die eigene Party ist.
Es klingelt zur nächsten Stunde. »Ich muss los.«
»Deutsch?«, fragt Zoe und sieht mich durchdringend an.
»Ich berichte dir alles«, sage ich und bin mir gleichzeitig sicher, dass es da nichts zu berichten geben wird.
Der Deutschraum liegt im dritten Stock. Ich laufe schnell die Treppe hoch. Jemand rempelt mich von hinten an, weil ich so in Gedanken bin, dass ich mir nicht mehr sicher bin, ob ich im zweiten oder schon im dritten Stock bin. Luca. Er murmelt ein halbherziges Tschuldigung und spurtet, zwei Stufen auf einmal nehmend, an mir vorbei. Als ich kurz darauf außer Atem zum Deutschraum komme, steht er davor und wartet. Er trägt Jeans, die ihm auf der Hüfte sitzen, hat einen weiten Hoodie an, die Kapuze auf und Ear-phones in den Ohren, und er riecht nach einem After-Shave, mit dem er sich nach dem Sport offenbar übergossen hat. Er lächelt smart. Seine Hand liegt auf der Klinke, und ich denke, dass er die Tür öffnen wird, aber er zieht seine Kopfhörer aus den Ohren und legt seinen Kopf an die Tür.
»Die haben schon angefangen«, sagt er mehr zu sich selbst.
»Und?«
Er lächelt. »Wollen wir schwänzen?«
Ich bin zu überrascht, um zu antworten.
»Jetzt?«, sage ich schließlich verwirrt.
»Wäre der geeignete Zeitpunkt.«
Ich sehe ihn ehrlich überrascht an. Er hat noch nie so viel im Unterricht gesagt. Ich kannte seine Stimme bis eben nicht. Eine angenehme Stimme. Etwas rau und ... sexy.
Er reißt die Tür auf. »Okay, dann nicht.«
Wir entschuldigen uns bei Frau Bolder, die mitten im Satz abbricht und mich erstaunt ansieht, aber Luca nur wie immer durchwinkt. Er haut sich in seine Bank irgendwo weit hinten, und ich setze mich auf meinen Platz nach vorne.
»Wie ich gerade sagte«, nimmt Frau Bolder den Faden wieder auf, »habe ich mir etwas Besonderes für unser zweites Halbjahr ausgedacht. Ein schönes Literatur-Projekt. Dafür habe ich eine Website unter der Schulhomepage angelegt. Dort kann jede Arbeitsgruppe ihre Ergebnisse hinterlassen.« Sie geht an die Tafel und schreibt:
Romeo und Julia
Leonce und Lena
Vom Winde verweht
Kameliendame
Jenseits von Eden
Stolz und Vorurteil
Lady Chatterley
Anna Karenina
Effie Briest
Madame Bovary
Sie dreht sich zurück zur Klasse. »Worum geht es?«
Keiner sagt etwas.
»Ella?«
»Beziehungen?«
Sie lächelt zufrieden. »Genau. In unserer Projektarbeit werden wir uns mit großen Romanen und Theaterstücken über die Liebe beschäftigen. Meine Idee ist ...«, sie lässt ihren Blick über die Klasse schweifen, »dass immer ein Junge und ein Mädchen zusammenarbeiten, und somit die Eindrücke beider Geschlechter in die Arbeit eingebracht werden. In dem Fall auf unserer Homepage. Da kann dann jeder den Fortschritt der anderen verfolgen.«
Gemurmel setzt ein. Ich sehe an die Tafel. Die meisten der Bücher habe ich schon gelesen. Und meine Eindrücke auf eine Internetseite zu schreiben, hört sich auch nach einer einfachen Sache an.
Im Kurs verständigen sich schon die ersten Paare, doch Frau Bolder bittet um Ruhe und stellt drei Weckgläser auf den Tisch. In jedem Glas befinden sich Zettel, in einem Blaue, im nächsten Rote, im dritten Weiße. Themen und Partner werden ausgelost. Mir wird etwas mulmig. Ich bin kein guter Teamarbeiter.
»Möchte eine oder einer von euch ziehen?«
Alles sehen auf ihre Tische. Egal, was hier herauskommt, niemand möchte dafür verantwortlich sein.
»Gut, dann werde ich das machen.«
Sie zieht ein Thema, einen roten und einen blauen Zettel und notiert die Namen an der Tafel. Es stehen immer weniger Themen zur Auswahl, und mein Name wurde noch nicht gezogen. In der Klasse ist es sehr still. Ich habe keine Ahnung, ob sich einige hier Hoffnungen auf den richtigen Partner machen, aber ich nehme es mal an. Mich beschäftigen mehr die Bücher. Madam Bovary habe ich noch nicht gelesen und Lady Chatterley könnte mich auch interessieren.
»Stolz und Vorurteil von Jane Austen«, liest Frau Bolder vor. Das Buch habe ich zweimal gelesen, ich bin ein Jane Austen Fan, aber gerade deshalb wäre mir ein anderes Buch lieber.
»Ella Terjung ...«
Das war ja klar.
»... und Luca Hansen.«
Einige Mädchen seufzen enttäuscht. Ich könnte meinen Platz in der Arbeitsgruppe vermutlich sofort meistbietend versteigern.
Alle Paarungen sind gezogen, zwei Mädchen sind in einer Gruppe, ansonsten ging es auf.
»So und nun setzt euch zusammen und tauscht euch schon mal aus. Ich baue in der Zeit den Beamer auf, damit ich euch die Website zeigen kann.«
Stühle werden geschoben, Sprüche gemacht, aber ich bleibe sitzen.
»Also, Ella, kann ich mit dir tauschen?«, fragt Hilke leise und beugt sich über meinen Tisch.
»Gerne, was hast du denn für ein Thema?«
Sie wird rot. Okay, das war gemein von mir.
»Ja, gerne!«, sage ich und sehe an die Tafel, um herauszufinden, welchen Partner ich nun bekomme.
»Kein Tauschen!«, sagt Frau Bolder und schickt Hilke wieder auf ihren Platz.
Sie sieht zu mir und dann zu Luca. »Ihr solltet euch doch zusammensetzen.«
Ich drehe mich leicht schräg und schiele nach hinten. Luca sitzt weit zurückgelehnt auf seinem Stuhl, die Arme vor der Brust verschränkt. Das kann ich auch.
»Sei ein Gentleman, Luca«, sagt Frau Bolder und nickt ihm freundlich zu. Luca wartet, lässt sich dann in Zeitlupe nach vorne kippen, steht auf und schlenzt durch die Reihen.
»Wohin?«, fragt er. Was natürlich eine Gemeinheit ist, da er genau weiß, wer ich bin.
Sie zeigt auf den Platz neben mir, und Luca lässt sich fallen und eine After-Shave-Wolke setzt sich mit ihm.
Während Frau Bolder den Beamer aufbaut, schweigen wir uns an. Erst, als die Vorhänge zugezogen werden und das Licht ausgeht, entspanne ich mich etwas, und ich spüre, dass es Luca genauso geht. Es ist anstrengend, die coole Fassade aufrecht zu halten.
Frau Bolder erläutert uns die Website, verteilt Passwörter für den Zugang und zeigt uns die Seiten zu den Büchern, die sie auch schon angelegt hat.
»Ihr könnt hier beliebig viele Unterseiten erstellen, Bilder einbinden, was ihr wollt.«
»Na, super«, brummt Luca leise neben mir.
Ich beuge mich etwas zu ihm. »Hör mal, ich kenne das Buch in und auswendig (was nicht so ganz stimmt) und schlage vor, dass wir hier jeder unsere Arbeit ganz unabhängig voneinander machen.«
»Sowieso.«
Langsam fängt seine Arroganz an zu nerven.
Das Licht geht wieder an, und Frau Bolder erwartet Lob für ihre Bemühungen. Von mir kann sie das gerne bekommen, niemand bezahlt sie für diesen Extra-Einsatz, und wir können alle davon profitieren. Das ist wie beim Bloggen. Trotzdem hüte ich mich, das zu sagen, ich gelte im Deutschkurs als Oberstreberin.
Frau Bolder klatscht in die Hände, da es wieder unruhig wird. »So, ihr habt noch zehn Minuten, euch kennenzulernen, und dann sehen wir uns am Ende der Woche zum normalen Unterricht.«
Ich schweige. Luca schweigt. Von mir aus. Mir fällt Zoe ein, eigentlich gäbe es jetzt eine Möglichkeit, etwas über Luca herauszufinden, aber ich kann mich nicht überwinden, ihn etwas zu fragen.
Wir schweigen weiter, ich kann das auch zehn Minuten lang machen. Doch Luca richtet sich schließlich auf, legt die Arme auf den Tisch und schielt hinter seiner Kapuze zu mir.
»Ich kenne den Film«, sagt er.
»Ich nicht.«
»Meinst du, das Buch ist wie der Film?«
Wohl eher umgekehrt. »Keine Ahnung.«
»Also, ich kann ja den Film sehen, und du liest das Buch.«
»Von mir aus.«
Er nickt langsam. »Äh, du bist mit Melanie befreundet, oder?«
Ich sehe ihn an. Ich weiß, meine Augen sehen hinter den Brillengläsern sehr klein und sehr weit weg aus. Manchmal ist meine Brille nicht nervig, sondern ein Schutz.
»Nein. Ich bin nicht mit Melanie befreundet. Ich bin mit Zoe befreundet, und Zoe ist mit Melanie befreundet.«
»Ach, so ...«
Das war der Smalltalk von seiner Seite.
»Warum hast du Deutsch Leistungskurs gewählt?«, frage ich. Das frage ich mich wirklich. Warum nicht Bio oder Chemie oder irgendein Fach, bei dem Lesen und Sprechen keine Rolle spielen?
Er zuckt mit den Achseln. »Hat gepasst.« Er lächelt.
Zoe hat recht. Ganz objektiv betrachtet ist Luca süß. Wenn er lächelt, dann geht ein Mundwinkel höher als der andere. Und seine Augen leuchten. Ja, sie sind braun, aber nicht dunkelbraun sondern olivbraun. Mir ist absolut klar, warum sich die Mädchen in ihn verlieben.
»So weit wäre dann also alles geklärt«, sage ich sachlich.
Er sieht mich überrascht an, als würden die Mädchen sonst bei diesem Blick dahinschmelzen.
»Okay.«
Wir stehen auf und packen unsere Sachen.
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Interview mit Katrin über das Schreiben des New Adult Romans
RedBug Books: Loving gehört zur New Adult Reihe von Red Bug Books. Was kann man sich unter New Adult vorstellen?
Katrin Bongard: New Adult ist für eine etwas ältere Zielgruppe als Young Adult. Also 17/18 plus und geht dann bis Mitte Zwanzig bzw. nach oben ist es natürlich offen. Die Themen sind etwas erwachsener, es geht um Unabhängigkeit, Sex, Beziehung, daher sind die Protagonisten der Bücher auch meist älter. Hier wird eigentlich die Lücke zwischen Jugend- und Erwachsenenliteratur geschlossen.
RBB: Was hat dich an New Adult gereizt?
K.B.: Im Grunde habe ich von Anfang an New Adult geschrieben, ohne es genau zu wissen. Mich interessiert das Thema „erwachsen werden“. Und zwar unabhängig vom Alter, aber mit 16/18 plus ist es eben DAS Thema.Genauso wie Sexualität.
RBB: Wie war das bei deinem ersten Jugendroman: „Radio Gaga“?
K.B.: Ich denke, ich bin damals von meinem ersten Verlag falsch eingeordnet worden. Beltz und Gelberg ist eben vor allem ein Kinderbuchverlag, es gab keine richtiges Gespür für die Jugendthemen. Zumal man der Meinung war, dafür gäbe es keine Zielgruppe, dem Buch ein rosa Cover verpasst hat und es für Kinder ab 12 empfohlen hat. Ich fand, ab 16 wäre richtiger gewesen, schon allein weger der Drogenproblematik.
RBB: Wie waren denn die Reaktionen der Zielgruppe?
K.B.: Es gab zwei interessante Reaktionen. Viele Jugendlichen ab 16 haben sich besonders für die Sexszenen interessiert. In Lesungen haben sie geradezu danach verlangt. Und dann habe ich empörte oder verstörte Mails von älteren Frauen bekommen, die den Sex zu explizit empfanden. Nicht für Jugendliche/Kinder geeignet. Ich wollte aber den Sex nie aussparen, weil es gerade mit 16 plus ein wichtiges Thema ist. Und, nun ja, mich als Jugendliche, sowohl als Leserin als auch überhaupt, interessiert hat. Man will einfach wissen, was da so passiert oder passieren könnte.
RBB: Was denkst du, wieso ist es jetzt ein Thema geworden? War Twillight der Auslöser?
K.B.: Twilight hat die Tür sozusagen eine Spalt weit aufgemacht. Es ist toll, dass dieses Buch so offen mit Leidenschaft umgeht. Was in meinen Augen weniger gut ist, ist der prüde und leider auch sehr reaktionäre Umgang mit dem Thema Sexualität. Enthaltsamkeit, Keuschheit vor der Ehe und gleichzeitg diese naive Fantasie, dass eine Frau von allen Männern begehrt werden muss. Dabei suchen auch Männer aus. Zum Glück, würde ich sagen.
RBB: Aber Shades of Grey hat das dann ja korrigiert …
K.B.: Genau. Hier ist es natürlich schade, dass die literarische Qualität nicht ganz erreicht wird, die man sich allgemein wünscht. Was man der Autorin – die ich übrigens cool finde – absolut nicht vorwerfen kan, da sie vorher nie geschrieben hat und nicht geahnt hat, dass ihr Buch ein Bestseller wird. Es war ja vorher „nur“ Fanfiktion im Internet.
RBB: Wie würdest du sagen, unterscheidet sich bei Red Bug Books, Young Adult von New Adult?
K.B.: Young Adult ist am ehesten noch das Jugendbuch so, wie wir es kennen. Die Protagonisten gehen zur Schule und sind von den Eltern abhängig. Sex wird ein Thema, aber die Gruppe oder Clique spielt ebenfalls eine große Rolle. Zielgruppe 13-16. New Adult dreht sich eher um das Thema Zweierbeziehung und Abhängigkeit/Unabhängigkeit. Nicht nur von den Eltern auch in der Partnerschaft. Sex spielt eine sehr große Rolle, ist meist zentral und wird auch explizit beschrieben, denn Beziehungen definieren sich auch über den Umgang mit der Sexualität. Unterwerfung, Abhängkeit, Lust, Nähe, Geborgenheit. Alles wichtige Themen, die sich besonders deutlich in der Art zeigen, wie man mit dem Sex in einer Beziehung umgeht. Besonders gut sieht man das für mich an der Flying Moon-Serie. Der erste Band ist im Grunde noch Jugendbuch. Der zweite Band (Lasse) beschäftigt sich mit erwachseneren Themen. Auch weil er aus Lasses Perspektiver erzählt wird und er älter ist und Liebe/Sex eine zentrale Rolle spielt, genauso wie Karriere und Unabhängigkeit. Das sind eben schon erwachsenere Themen.
RBB: Wieso sind die New Adult Stories aus den USA zum Teil so klischeehaft?
K.B.: Es sind für mich alles Schritte auf dem Weg zu neuen, interessanten Inhalten. Klischees funktionieren am Anfang einfach besser. Jeder weiß, was gemeint ist. Der Bad Boy, das unschuldige Mädchen und so weiter. Vielleicht auch eine Art archaisches Bedürfnis, das wir Frauen eine Zeitlang nicht ausgelebt haben, weil wir uns zum Teil so stark bemüht haben, auf die falsche Art und Weise emanzipiert zu sein.
RBB: Wie gehst du mit Klischees um?
K.B.: Na ja, mich reizt schon eher der kreative Umgang mit einer Beziehung als das Klischee. Wenn Jungs und Mädchen oder Frauen und Männer neue Wege gehen. Aber Klischees machen auch Spaß, sie schreiben sich gut, das muss man zulassen und auch aushalten können. So what? Mein Ziel ist es trotzdem, etwas Neues, Kreatives in diesem Bereich zu erschaffen. Lustvoll und intelligent.
RBB: Wobei wir bei Loving wären?
K.B.: Na ja, ich bin auf dem Weg. Und kann nur sagen, dass es gerade sehr viel Spaß macht.
RBB: Dann danke ich für das Gespräch.
(Das Interview führte Uwe Carow)
Loving – Interview mit Katrin über das Schreiben des New Adult Romans
RedBug Books: Loving gehört zur New Adult Reihe von Red Bug Books. Was kann man sich unter New Adult vorstellen?
Katrin Bongard: New Adult ist für eine etwas ältere Zielgruppe als Young Adult. Also 17/18 plus und geht dann bis Mitte Zwanzig bzw. nach oben ist es natürlich offen. Die Themen sind etwas erwachsener, es geht um Unabhängigkeit, Sex, Beziehung, daher sind die Protagonisten der Bücher auch meist älter. Hier wird eigentlich die Lücke zwischen Jugend- und Erwachsenenliteratur geschlossen.
RBB: Was hat dich an New Adult gereizt?
K.B.: Im Grunde habe ich von Anfang an New Adult geschrieben, ohne es genau zu wissen. Mich interessiert das Thema „erwachsen werden“. Und zwar unabhängig vom Alter, aber mit 16/18 plus ist es eben DAS Thema.Genauso wie Sexualität.
RBB: Wie war das bei deinem ersten Jugendroman: „Radio Gaga“?
K.B.: Ich denke, ich bin damals von meinem ersten Verlag falsch eingeordnet worden. Beltz und Gelberg ist eben vor allem ein Kinderbuchverlag, es gab keine richtiges Gespür für die Jugendthemen. Zumal man der Meinung war, dafür gäbe es keine Zielgruppe, dem Buch ein rosa Cover verpasst hat und es für Kinder ab 12 empfohlen hat. Ich fand, ab 16 wäre richtiger gewesen, schon allein weger der Drogenproblematik.
RBB: Wie waren denn die Reaktionen der Zielgruppe?
K.B.: Es gab zwei interessante Reaktionen. Viele Jugendlichen ab 16 haben sich besonders für die Sexszenen interessiert. In Lesungen haben sie geradezu danach verlangt. Und dann habe ich empörte oder verstörte Mails von älteren Frauen bekommen, die den Sex zu explizit empfanden. Nicht für Jugendliche/Kinder geeignet. Ich wollte aber den Sex nie aussparen, weil es gerade mit 16 plus ein wichtiges Thema ist. Und, nun ja, mich als Jugendliche, sowohl als Leserin als auch überhaupt, interessiert hat. Man will einfach wissen, was da so passiert oder passieren könnte.
RBB: Was denkst du, wieso ist es jetzt ein Thema geworden? War Twillight der Auslöser?
K.B.: Twilight hat die Tür sozusagen eine Spalt weit aufgemacht. Es ist toll, dass dieses Buch so offen mit Leidenschaft umgeht. Was in meinen Augen weniger gut ist, ist der prüde und leider auch sehr reaktionäre Umgang mit dem Thema Sexualität. Enthaltsamkeit, Keuschheit vor der Ehe und gleichzeitg diese naive Fantasie, dass eine Frau von allen Männern begehrt werden muss. Dabei suchen auch Männer aus. Zum Glück, würde ich sagen.
RBB: Aber Shades of Grey hat das dann ja korrigiert …
K.B.: Genau. Hier ist es natürlich schade, dass die literarische Qualität nicht ganz erreicht wird, die man sich allgemein wünscht. Was man der Autorin – die ich übrigens cool finde – absolut nicht vorwerfen kan, da sie vorher nie geschrieben hat und nicht geahnt hat, dass ihr Buch ein Bestseller wird. Es war ja vorher „nur“ Fanfiktion im Internet.
RBB: Wie würdest du sagen, unterscheidet sich bei Red Bug Books, Young Adult von New Adult?
K.B.: Young Adult ist am ehesten noch das Jugendbuch so, wie wir es kennen. Die Protagonisten gehen zur Schule und sind von den Eltern abhängig. Sex wird ein Thema, aber die Gruppe oder Clique spielt ebenfalls eine große Rolle. Zielgruppe 13-16. New Adult dreht sich eher um das Thema Zweierbeziehung und Abhängigkeit/Unabhängigkeit. Nicht nur von den Eltern auch in der Partnerschaft. Sex spielt eine sehr große Rolle, ist meist zentral und wird auch explizit beschrieben, denn Beziehungen definieren sich auch über den Umgang mit der Sexualität. Unterwerfung, Abhängkeit, Lust, Nähe, Geborgenheit. Alles wichtige Themen, die sich besonders deutlich in der Art zeigen, wie man mit dem Sex in einer Beziehung umgeht. Besonders gut sieht man das für mich an der Flying Moon-Serie. Der erste Band ist im Grunde noch Jugendbuch. Der zweite Band (Lasse) beschäftigt sich mit erwachseneren Themen. Auch weil er aus Lasses Perspektiver erzählt wird und er älter ist und Liebe/Sex eine zentrale Rolle spielt, genauso wie Karriere und Unabhängigkeit. Das sind eben schon erwachsenere Themen.
RBB: Wieso sind die New Adult Stories aus den USA zum Teil so klischeehaft?
K.B.: Es sind für mich alles Schritte auf dem Weg zu neuen, interessanten Inhalten. Klischees funktionieren am Anfang einfach besser. Jeder weiß, was gemeint ist. Der Bad Boy, das unschuldige Mädchen und so weiter. Vielleicht auch eine Art archaisches Bedürfnis, das wir Frauen eine Zeitlang nicht ausgelebt haben, weil wir uns zum Teil so stark bemüht haben, auf die falsche Art und Weise emanzipiert zu sein.
RBB: Wie gehst du mit Klischees um?
K.B.: Na ja, mich reizt schon eher der kreative Umgang mit einer Beziehung als das Klischee. Wenn Jungs und Mädchen oder Frauen und Männer neue Wege gehen. Aber Klischees machen auch Spaß, sie schreiben sich gut, das muss man zulassen und auch aushalten können. So what? Mein Ziel ist es trotzdem, etwas Neues, Kreatives in diesem Bereich zu erschaffen. Lustvoll und intelligent.
RBB: Wobei wir bei Loving wären?
K.B.: Na ja, ich bin auf dem Weg. Und kann nur sagen, dass es gerade sehr viel Spaß macht.
RBB: Dann danke ich für das Gespräch.
(Das Interview führte Uwe Carow)
Presse / Rezensionen
»Ein unterhaltsamer Roman, der perfekt für Bloggerinnen ist. Mit viel Humor und Herzklopfen war die Geschichte rund um Ella und Luca sehr kurzweilig und ich freue mich darauf noch mehr Bücher von dieser klasse Autorin zu lesen.« Sophie (SophiesLittleBookCorner 24.8.2013)
»Einige Stellen brachten mich dazu herzlich zu lachen und andere ließen mich mitleiden. Es ist eine wunderbare Lektüre über eine Zeit, die sicher für jede Frau bewegend, prägend, aufwühlend und aufregend war. Ich bezweifle, dass es in meiner Jugend solche Bücher gab aber ich bin mehr als froh, dass es sie heute gibt. Dieses Buch bescherte mir einen wunderbaren Abend und ich hätte noch endlos weiter die Geschichte der beiden verfolgen können. (…) Ein Jugendbuch über große Gefühle und große Literatur harmonisch vereint in einer liebevoll geschriebenen Geschichte.« Nici (Nici’s Buchecke Thalia 26.05.2015)
»Loving ist wieder einmal eine sehr sensibel erzählte, schön geschriebene und fesselnde Geschichte, in der sich junge und jung gebliebene Erwachsene wiederfinden.«Ina (Cup-of-tea-and-book 24.11.2013)
»Die Charaktere sind sehr vielschichtig und liebevoll gezeichnet. Sie haben viele Facetten, Ecken und Kanten und ein paar wirklich tolle, leicht chaotische Nebencharaktere die man einfach mögen muss. Einige Wendungen mit denen man nicht rechnete haben mich überrascht und gefesselt.« Solara (Bücher aus dem Feenbrunnen Thalia 15.05.2015
»Loving ist ein Buch voller Gefühl, voller Liebe und Hoffnung, aber auch gespickt mit Stolz und Vorurteilen. Der Leser begleitet zwei charakterstarke Jugendliche durch die Höhen und Tiefen auf dem Weg die Liebe zu finden.« (Liss (Goood-reading 25.9.2013)
»I don’t know how and I most definitely don’t know when … but I fell in love with this book. (…) I thank whoever let me get the chance to read this story because in all honesty it would have been a shame to have missed out on this masterpiece.« Alexa (Goodreads 22.3.2014)
»Loving ist ein wunderbar romantischer Roman (nicht nur) für Jugendliche, der einfühlsam erzählt ist und eine unglaubliche Sogwirkung auf mich hatte. Wann habe ich es das letzte Mal geschafft, bis weit nach Mitternacht zu lesen?!« Mona (Tintenhain 30.4.2015)
»‚Loving‘ ist eine wunderbare moderne Hommage an ‚Stolz und Vorurteil‘ – eine zunächst verzwickte Liebe, im Endeffekt jedoch mit ganz viel rosa Herzchen in den Augen.« Daniela (Brösels Bücherregal 18.5.2015)
»Loving hat mich wirklich überrascht! Beim Lesen des Klappentexts hat man gleich diese typische Geschichte vor Augen, in der sich der Badboy in die schüchterne graue Maus verliebt (…) Sicherlich finden sich einige dieser altbekannten Elemente in Katrin Bongards Liebesgeschichte wieder, dennoch hat das Buch noch Einiges mehr zu bieten. Eine Hauptfigur, die viel mehr Charakterstärke besitzt, als sie selbst weiß, die ehrgeizig ihrem Traum entgegenarbeitet, Schriftstellerin zu werden.« Svenja (Buchhandlung Thalia Hamburg 11.4.2016)
»Ein toller Liebesroman, der dazu verleitet, auch die Fortsetzung zu lesen.« Katja Breuer-Hinze, Heilpädagogin (Arbeitsgruppe Kinder- und Jugendliteratur, Goslar)
KATRIN BONGARD
LOVING MORE
Band 2 der Loving-Serie
E-Book Seiten ISBN |
4,99 € 9,99 € 330 978-3-946494-10-2 |
New Adult – All Age – Liebe
*Intelligent & Leidenschaftlich. Stolz & Vorurteil reloaded*
Ella und Luca sind ein Paar. Langsam wachsen auch ihre Freundeskreise zusammen. Doch Lucas Exfreundinnen sind nicht sonderlich begeistert und machen Ella und Luca das Leben mit kleinen Intrigen schwer. Ella hat noch ein anderes Leben neben der Schule. Sie ist Buchbloggerin und möchte sich als Book-Tuberin versuchen. Dafür beschäftigt sie sich mit Videos und nimmt eigene Buchrezensionen auf. Doch dann werden gerade diese Videoaufnahmen für ein besonders böses Bashing-Video gegen Luca benutzt und ihre Beziehung wird auf eine erste Probe gestellt.
Teil zwei der Liebesgeschichte um das ungleiche Paar: Ella und Luca
Loving more
Eins
Ella
Ich liebe den Frühling. Wenn sich die ersten hellgrünen Blätter an den Sträuchern zeigen und dann nach und nach erst die gelben, dann die rosafarbenen Blüten dazukommen und schließlich die großen, dunkleren Blätter der Bäume. Wie in einem Orchester, erst zarte Klänge, die kräftiger werden, weil immer mehr Instrumente mitspielen, und schließlich der satte Klang des ganzen Farborchesters. Ein Thema, eine Stimmung, ich bin verliebt in Luca. Ups. Aber so enden gerade alle meine Gedankengänge. Wir sind zusammen. Nun ja, noch nicht lange, aber wir haben so etwas wie eine Beziehung, auch wenn sie bisher in dem Ausnahmezustand Osterferien stattgefunden hat. Die letzte Woche war himmlisch. Weil wir freihatten, weil Luca und ich jeden Tag zusammen waren, weil es so immer weitergehen könnte. Aber dann ist da noch Schule. Noch ein knappes Jahr, dann machen wir Abi, also eigentlich nur noch der Endspurt, viel lernen, aber das ist nicht mein Problem. Eher die Sache mit den Gruppen, den anderen Leuten, den Cliquen, dem ganzen Sozialgefüge. Ich bin jemand, der sich bei diesen Dingen raushält.
Unterricht, lernen, das krieg ich eigentlich immer hin. Ich lese gerne, ich schreibe gerne, ich denke gerne nach, und das sind schon fast die wichtigsten Sachen, die man beherrschen sollte, wenn man zur Schule geht. Okay, Luca würde mir widersprechen. Er ist ein Sportfreak, und wenn er sich nicht bewegen kann, rastet er früher oder später aus.
»Ella!«
Zoe winkt mir vom Schuleingang aus zu, als ich zu den Fahrradständern radele. Zugegeben, ich bin aufgeregt, wieder zur Schule zu gehen. Denn es gibt eine eindeutige Ordnung. Diese Ordnung ist nicht göttlich, aber doch irgendwie unumstößlich, und eine Beziehung zwischen dem auffälligen und extrem beliebten Luca und mir, die ich mich eher unauffällig durch die Schule bewege , ist in dieser Ordnung bestimmt nicht vorgesehen. Unsere Beziehung bringt viel in dieser Welt durcheinander, und ich habe das Gefühl, dass einige Leute das gar nicht so gut finden werden. Okay, hauptsächlich eine Reihe von Mädchen. Und besonders Lucas Exfreundinnen, zu denen ich jetzt am besten viel Abstand halte.
Ich fahre weit in das Schulgrundstück bis zu den Fahrradständern. Wie war noch mal meine Strategie, alle hier auf meine Seite zu bekommen? Jedem Schokolade schenken und Komplimente machen? Sehr witzig, Ella.
»Hey, Ella!«
Fritz, Lucas bester Freund, steht bei den Fahrradständern.
Ich schließe mein Rad an, er wartet auf mich.
»Luca hat sicher wieder verpennt.«
Ich denke an die fünf Wecker, die sich Luca jeden Morgen stellt, damit er aus dem Bett kommt. Trotzdem kann ich es nicht fassen. »Am ersten Schultag?«
Fritz grinst. »Dreißig Verspätungen im letzten Schulhalbjahr und vierzehn Fehltage. Er hat eindeutig den Pokal geholt.«
Ich blinzele unsicher, ob Fritz mich verarscht, aber er wirft die Hände hoch und lacht. »Das Abi wird er trotzdem mit links machen.«
»Charme-Bonus«, sage ich, wir verdrehen beide die Augen und lachen dann. Was Luca angeht, kann mich vermutlich keiner so gut verstehen wie Fritz.
»Wie waren denn die Ferien?«, fragt er.
Okay, was soll ich erzählen? In meiner Erinnerung sind es hauptsächlich Nachmittage mit Luca in seinem Zimmer oder besser gesagt auf seinem Bett. Abende im Kino, bei denen ich den Film nicht mitbekommen habe, weil wir uns lieber geküsst haben. Tage, die alle durch die größte Verliebtheit meines siebzehnjährigen Lebens zusammenschmelzen. Kurz: der Wahnsinn.
»Okay, schon klar«, sagt Fritz.
»Und wie waren deine Ferien?«
»War ziemlich stressig, weil meine Eltern gerade ein neues Café in Steglitz eröffnen. Oder besser gesagt, übernommen haben«, sagt Fritz.
»Steglitz? Wo denn da?«
Wenn man in Berlin Zehlendorf aufwächst, dann ist Zehlendorf Mitte der nächste Ort, an dem man Geschäfte findet, aber Steglitz ist der nächste Bezirk mit einer Einkaufsmeile. Und großen Buchläden, in denen ich regelmäßig in einen Kaufrausch verfalle. Anschließend gehe ich dann meist in ein Café und sehe mir meine Beute an, also kenne ich mich auch mit Cafés in der Gegend ziemlich gut aus.
»Im Schloss«, sagt Fritz.
Das Schloss ist einer der Einkaufspaläste in Steglitz. Und, ja, auch dort kenne ich den großen Buchladen und alle Cafés.
»Welches? Das Café im ersten Stock? Mit den Sesseln drinnen und den kleinen Tischen davor?«
Fritz nickt. »Wir haben ziemlich umgebaut, aber hauptsächlich in der Küche. Und dann haben wir natürlich die Maschinen ausgewechselt.«
»Klar«, sage ich, denn Fritz’ Vater hat einen Laden für Espressomaschinen.
»Jetzt müssen wir nur noch Leute einstellen, die wissen, wie man richtig Kaffee kocht.«
Ich grinse. »Der Kaffeeexperte hat gesprochen.«
Fritz schubst mich leicht. »Wann versteht ihr endlich, dass das ne verdammte Wissenschaft ist?«
Vor dem Eingang treffen wir auf Zoe und Melanie. Zoe ist seit dem Kindergarten meine beste Freundin, und da ich nie das Bedürfnis hatte, mehr als eine gute Freundin zu haben, ist sie auch meine einzige Freundin. Ich umarme trotzdem beide, obwohl Melanie und ich ein eher schwieriges Verhältnis haben. Anders gesagt: auf unterschiedlichen Kontinenten leben. Zum einen ist sie Lucas Exfreundin. Zum anderen ist sie die Königin im It-Girls-Land und ich bin dann wohl eher Aschenputtel. Aber sie ist eine der besten Freundinnen meiner Freundin Zoe, und das respektiere ich. Ganz besonders, seit Zoe mit Melanies Bruder Sven zusammen ist.
»Meint ihr, es hat sich schon rumgesprochen?«, sagt Melanie und sieht sich um.
»Was?«, frage ich und Zoe schickt mir einen ihrer fassungslosen Blicke.
»Na, dass du und Luca …«, sagt Melanie und lässt den Rest des Satzes bedeutungsvoll in der Luft hängen.
»Zusammen sind«, ergänzt Zoe, obwohl das nicht nötig gewesen wäre.
Ich verstehe schon. Irgendwann werde ich mich vielleicht daran gewöhnen, dass Luca der Mittelpunkt dieses Schuluniversums ist.
»Natürlich werden dich erst einmal alle hassen«, überlegt Melanie laut und auf ihre ganz eigene charmante Art.
»Oder Luca?«, wage ich vorzuschlagen.
Melanie schüttelt entschieden den Kopf. »Oh, nein, Ella, sie hassen immer die Mädchen.«
Da Melanie vor mir mit Luca zusammen war, wird sie das genau wissen, allerdings habe ich mir vorgenommen, das alles gar nicht zu beachten. Und das sollte mir nicht schwerfallen, da mich der Schultratsch noch nie interessiert hat. Ich werde mich einfach weiterhin aus allen Gruppen heraushalten.
Melanie neigt mitleidig den Kopf, als könnte sie meine Gedanken genau lesen. »Na, du wirst schon sehen, Ella!«
»Wo bleibt Luca denn?«, fragt Zoe.
»Der liegt noch im Bett, was?«, sagt Melanie und grinst, als ob sie sich mit Luca und Bett sehr gut auskennen würde.
Sie nickt Fritz zu, der die ganze Zeit schweigend neben uns steht und jetzt nur gelassen mit den Schultern zuckt.
Ich hole mein iPhone heraus. Zwei Minuten vor acht und von Luca ist nichts zu sehen. Eigentlich sind wir hier verabredet. Zugegeben, erst um acht, wobei ich nicht dachte, dass er das wörtlich nimmt. Und gleich habe ich Englisch.
»Luca schwänzt bestimmt den ersten Block«, sagt Melanie sachlich. »Schwänz doch auch, dann kannst du auf ihn warten.«
»Ach ja?«, sage ich und kann nicht verhindern, dass es spöttisch und genervt klingt. Denn, großartig! Danke, Melanie, für den Rat, mir im letzten Schuljahr vor dem Abi das gute Verhältnis zu den Lehrern zu zerstören. Denn ich habe keinen Charme-Bonus. Und dann bin ich zwar sehr verliebt in Luca, aber meinen Verstand habe ich deshalb noch lange nicht verloren. Außerdem bin ich sehr gut in der Lage, den Schultag ohne ihn zu beginnen. Nun ja, das hoffe ich jedenfalls, denn mein Herz zieht sich gerade sehnsüchtig zusammen. Wie soll ich mich überhaupt auf Englisch konzentrieren?
»Ich geh dann mal«, sagt Fritz, als es klingelt.
»Bis gleich«, sagt Zoe und geht auch in die Schule.
Ich lasse meinen Blick ein letztes Mal über den Hof schweifen. Kein Luca.
»Wollen wir?«, fragt Melanie mit einem smarten Lächeln.
Ein letzter Blick auf mein iPhone. Auch hier: nichts.
»Klar«, sage ich betont munter und folge Melanie.
Als wir im ersten Stock ankommen, ist die Tür des Klassenraums natürlich bereits geschlossen.
»You’re late!«, sagt Frau Teich und winkt uns ärgerlich herein. Sie hasst es, wenn man zu spät kommt.
»Sorry!«
Melanie und ich huschen schnell an unsere Plätze. Erst dann fällt mir auf, dass alle sich melden.
»Wir sprechen gerade über ein Projekt, das ich mit diesem Kurs vorhabe«, sagt Frau Teich. »Also noch einmal für die beiden Zuspätkommer: Habt ihr ein Smartphone?«
Melanie und ich nicken. Jetzt ist mir auch klar, warum alle Hände oben sind.
Frau Teich lächelt. »Das habe ich mir gedacht. Wunderbar. Und wer von euch hat schon mal ein YouTube-Video angesehen?«
Ein Stöhnen geht durch den Kurs. Was für eine Frage! Alle Hände schießen erneut hoch.
»Dann versteht ihr sicher, was ich vorhabe. Ich möchte, dass ihr ein Video auf Englisch filmt. In Gruppenarbeit. Worüber ist mir egal, ein Interview oder eine Reportage oder was euch sonst einfällt. Aber es sollte nur etwa drei Minuten dauern und natürlich auf Englisch sein. Alle Videos könnt ihr dann unter dem Projektlink auf der Schulwebsite hochladen.«
Ein Raunen geht durch die Klasse. Ich weiß nicht genau, was ich davon halten soll. Ich bin nicht unbedingt ein Fan von Gruppenarbeit, aber das Projekt klingt spannend. Mal etwas anderes.
Frau Teich klappt die Tafel auf. »Da mir meine Kollegin, Frau Bolder, so von ihrem Deutschprojekt vorgeschwärmt hat, will ich gerne ihrem Beispiel folgen und habe die Gruppen schon festgelegt. Bitte setzt euch entsprechend zusammen und beginnt euer Projekt auf Englisch zu planen. Und – die Benutzung eures Handys ist dafür ausnahmsweise erlaubt.«
Ich starre auf die Tafel und seufze, als ich meinen Namen entdecke. Ich bin in einer Gruppe mit Tobias und Susanna Einer weiteren Exfreundin von Luca. Wunderbar. Mein Plan, mich aus allen Gruppen rauszuhalten und besonders auf Abstand zu Lucas Exfreundinnen zu gehen, ist schon am ersten Schultag gescheitert.
Zwei
Luca
Es poltert gegen meine Tür.
»Was?«
Klopfen? In Ordnung. Aber muss sie gleich die Tür eintreten?
»Hast du nicht zur Ersten?«, sagt Hannah und grinst durch den Türspalt.
Ich sehe zu dem Wecker auf meinem Schreibtisch. Stimmt. Verschlafen, verdammt.
»Frühstück in fünf.«
»Okay.«
Ich hechte aus dem Bett, reiße wahllos ein T-Shirt aus dem Schrank und meine Jeans vom Stuhl, schnappe mein iPhone vom Schreibtisch. Wieso habe ich keinen meiner Wecker gestellt? Aber, klar, ich kenne die Antwort. Seit einer Woche befinde ich mich in einem Ausnahmezustand. Losgelöst von den alltäglichen Dingen. Verliebt, und zwar so, wie ich es noch nie vorher war.
Sie ist bestimmt pünktlich. Hat vielleicht gewartet, obwohl Ella nicht das Mädchen ist, das wartet – überhaupt anders. Ganz anders.
Ich hämmere an die Badezimmertür. Mich erst wecken und dann das Bad blockieren. Echt jetzt?
»Ich muss mich beeilen!«
»Zur Ersten schaffst du eh nicht mehr«, kommt es dumpf aus dem Bad.
Ja, verdammt, richtig. Ich sehe auf mein Handy. Nachrichten? Nope. Von wem auch? Fritz weiß, dass ich den ersten Block montags meistens schwänze. Ich meine, hallo? Danach habe ich eine Freistunde. Was macht das für einen Sinn? Und in Physik bin ich zufällig so gut, dass ich da echt nicht rumsitzen muss.
Der Typ, der Schule erfunden hat, war vermutlich jemand, der gerne fünfundvierzig Minuten auf einem Stuhl hockt, nach vorne schaut und jemand anderen beim Reden zuhört. Es war jedenfalls auf keinen Fall jemand, der Bewegung braucht, um seine Gehirnzellen in Gang zu bringen. Sauerstoff, Adrenalin. Wenn ich auf einem Stuhl sitze, penne ich ein. Wenn ich unbeweglich bin, heißt das für mein Gehirn nichts anderes, als dass Schlafenszeit ist.
»Hannah, avanti!« Mädchen!
»Wieso beeilen?«, kommt es spöttisch aus dem Bad. »Nach dem ersten Block hast du doch eine Freistunde.«
Ich lehne mich an die Wand, atme aus. Okay, ja. Aber wenn ich zur Schule gehe und Ella treffe, kann ich sie vielleicht überreden, dass sie auch schwänzt, und dann …
Sie wird nie schwänzen!
Das ist zwar keine neue Erkenntnis, aber sie macht mir noch einmal klar, wie verschieden wir sind. Megaverschieden. Von anderen Planeten, Sonnensystemen. Und ich schätze, das ist genau der Grund, weshalb wir uns wie zwei Supermagneten anziehen.
Die Tür wird aufgerissen und Hannah stürmt zusammen mit einer warmen Wasserdampfwolke heraus.
»Bitte, der Herr!«
»Danke.«
Ich warte, bis der Wasserdampf sich etwas im Flur verteilt hat, und stoße mich dann von der Wand ab. Eigentlich kann ich mir jetzt auch Zeit lassen.
»Und wann musst du eigentlich zur Schule?«, rufe ich Hannah hinterher, die mit ihren typischen Hüpfeschritten am Ende der Treppe angelangt ist.
»Ich habe erst um zehn«, singsangt sie. »Das ist der Vorteil, wenn man auf eine Waldorfschule geht. Humaner Schulbeginn.«
»Weil ihr eh nur Gummihüpfen lernt!«, rufe ich ihr nach.
Die Tür neben dem Bad fliegt auf und Luzy schaut verschlafen heraus. Ihre Haare sind zerzaust und auf ihrem Gesicht erkenne ich den Abdruck ihres Lieblingsteddys.
»Hast du etwa auch später Schule?«, frage ich leicht gereizt.
Sie reibt sich die Augen, gähnt. »Du wolltest mich doch wecken.«
Richtig. Mist noch mal.
Kurz darauf stehe ich am Herd und bereite Kaffee und Tee zu. Mein Job am Morgen. Und heute kommen noch ein paar Jobs dazu, da meine Mutter erst am Abend von ihrer Fortbildung zurückkommt und mir die Verantwortung für Luzy übertragen hat. Pünktlich wecken und zur Schule bringen. Na wunderbar, das habe ich gründlich verbockt.
»Ich schreibe dir eine Entschuldigung«, sage ich und hoffe, dass es sich erwachsen und verantwortungsbewusst anhört.
Luzy sitzt kerzengerade am Tisch und starrt mich empört an. Ich reiße die Arme hoch.
»Ja, sorry, ich bin auch nur ein Mensch.«
Hannah öffnet den Kühlschrank und stellt Milch heraus. »Ach ja? Ich dachte, du bist Luca, der Held aller Mädchen, Herrscher über Zeit und Raum. Ein Gott …«
Ich werfe ein Handtuch nach ihr und sie kichert.
»Wo ist Ella?«, fragt Luzy mit einem Ton, als ob das hier nie passiert wäre, wenn Ella da gewesen wäre. Womit sie recht hat.
»Sie ist bei sich.«
»Sie sitzt im Unterricht, Luzy«, sagt Hannah leise zu Luzy und beide Mädchen nicken sich wissend zu.
Ich knalle Becher auf den Tisch, die Luzy verteilt.
»Kannst du Ella fragen, ob sie mir Emil und die Detektive leiht? Wir lesen das in der Schule.«
Hannah nickt. »Und kannst du sie fragen, ob sie mir bei meinem Referat über Homo Faber helfen kann?«
Ich breite die Arme aus. In einer Hand die Kaffeekanne, in der anderen den Tee. Hallo? Irgendwann war es mal wichtig, dass ich der große Bruder bin und alles weiß und kann. Aber seit Ella in meinem Leben aufgetaucht ist, hat sich das anscheinend geändert.
»Jemand Kaffee oder Tee?«
Sie halten mir ihre Tassen hin und ich schenke ein.
»Ich bin der Gott der Getränke!«, rufe ich.
Luzy grinst und Hannah verdreht die Augen. Wo bleibt eigentlich der Respekt vor dem Alter?
Luzys Grundschule liegt gleich hinter dem Park. Eigentlich kann sie allein fahren, aber ich habe ihr versprochen, sie persönlich bei ihrer Klassenlehrerin zu entschuldigen.
»Du musst ins Lehrerzimmer«, ruft sie mir zu, während sie ins Schulhaus flitzt.
»Es ist doch noch Pause«, rufe ich ihr hinterher, aber Luzy rennt unbeirrt weiter. Sie und Ella haben ein paar Dinge gemeinsam. Für sie ist Schule kein Joke, der irgendwie bewältigt werden muss, sondern eine wichtige Angelegenheit.
Ich schließe Luzys Rad am Fahrradständer an, mache meines am Zaun fest und bahne mir dann einen Weg durch die herumwuselnden Schüler, die alle zwei Köpfe kleiner sind als ich.
Den Weg zum Lehrerzimmer kenne ich auswendig, denn auch ich bin hier einmal zur Schule gegangen. Aufgeschlagene Knie, Gehirnerschütterung, Verspätungen – in meiner Erinnerung habe ich mehr Zeit im Lehrerzimmer, Sekretariat und im Krankenzimmer zugebracht als in einem der Klassenräume.
Ich klopfe und warte, bis einer der Lehrer mir öffnet. Und es ist ausgerechnet Frau Heinrich, meine alte Deutschlehrerin.
»Luca!«, sagt sie in dem typischen Befehlston, den sie die ganze Schulzeit über für mich reserviert hatte.
»Ich würde gerne mit Frau Rosen sprechen. Es geht um Luzy«, sage ich und bemühe mich, deutlich zu sprechen.
Du nuschelst, Luca!, war eine von Frau Heinrichs Lieblingsbemerkungen. Ich bin höflich und freundlich, aber ich tue das nicht, um nett zu ihr zu sein – dafür gibt es echt keinen Grund –, sondern damit sie mir schnell und ohne großes Aufsehen Frau Rosen an die Tür holt und ich ihr die Entschuldigung geben kann. Persönlich, wie Luzy es von mir erwartet.
Frau Heinrich starrt mich einen Moment an, dann schließt sie die Tür des Lehrerzimmers energisch vor meiner Nase. Als ob ich ihr folgen würde. Keine Sorge, ich habe keinen Bedarf, alle meine alten Grundschullehrer zu treffen. Echt nicht.
Kurz darauf öffnet sich die Tür wieder und Frau Rosen lächelt mir entgegen. Sie ist neu an der Schule, keine Luca-Agenda.
»Ah, schön, dich zu sehen. Du bist Luzys großer Bruder, nicht? Hast du einen Moment?«
Ich habe genau genommen sehr viele Momente, bevor die zweite Pause beginnt. Dann allerdings muss ich Ella treffen. Ich nicke.
Frau Rosen winkt mich über den Gang zum Besprechungszimmer. Der Verhörraum? Gibt es Ärger? Kommt Luzy etwa öfter zu spät?
Sie bietet mir einen Platz an und ich setze mich.
Was wird das hier?
Ich lege das leicht zerknitterte Entschuldigungsschreiben auf den Tisch. »Ich wollte eigentlich nur die Entschuldigung für Luzy abgeben, also heute Morgen …«
»Ja, ja. Das ist schon in Ordnung«, sagt Frau Rosen. Sie lächelt freundlich und setzt sich mir gegenüber. Ihre Hände hält sie feierlich vor sich gefaltet und aufgestellt.
»Es geht um etwas anderes.« Sie blickt kurz aus dem Fenster, als ob sie nach Worten suchen würde. »Deine Mutter ist sehr beschäftigt?«
»Ja, sie macht gerade eine Ausbildung zur Heilpraktikerin.«
Zusätzlich zu den Yoga-, Tantra- und Meditationskursen, die meine Mutter im Haus abhält, aber darüber rede ich besser nicht. Unsere Familie ist für die meisten sowieso schon verrückt genug. Drei Kinder von drei verschiedenen Männern, vier verschiedene Nachnamen, ich will nicht, dass der Eindruck entsteht, Luzy würde im Chaos groß werden, denn das stimmt nicht.
»Nun, es geht um Luzy.« Sie lächelt. »Natürlich.«
»Ja?«
»Sie ist ein außergewöhnliches Mädchen. Wann hat sie Lesen gelernt?«
Ich überlege. Als Luzy klein war, habe ich ihr abends immer Märchen vorgelesen, wenn meine Mutter Kurse gegeben hat. Und ich weiß, dass sie sehr früh angefangen hat, sich das Lesen selbst beizubringen, weil sie unbedingt wissen wollte, wie die Geschichten weitergehen.
»Mit fünf … glaube ich.«
Frau Rosen nickt. »Sie hat mir letztens erzählt, dass sie keine Bücher mehr in der Schulbücherei findet, da sie fast alle gelesen hat. Ich wollte im nächsten Jahr Der kleine Prinz mit der Klasse lesen, aber sie kennt das Buch schon. Sagt sie manchmal, dass sie sich im Unterricht langweilt?«
Nein, das ist eher Hannah.
»Sie geht gerne zur Schule.«
»Liest sie zu Hause viel?«
»Oh ja.«
»Sie schreibt auch tolle Geschichten. Wie sind denn ihre Noten in den anderen Fächern?«
Ich weiß nicht genau, worauf Frau Rosen hinauswill.
»Sehr gut.«
Frau Rosen sieht wieder aus dem Fenster. Luzy ist eine Traumschülerin, schon klar. Ich bin stolz auf sie. Weder mit Hannah noch mit mir kann sie sich viel über ihre Bücher austauschen, niemand hat Zeit, mit ihr Hausarbeiten zu machen, aber sie kriegt das alles alleine hin.
»Ich denke, Luzy könnte eine Klasse überspringen«, sagt Frau Rosen schließlich und fast mehr zu sich selbst. »Mit ein wenig Unterstützung in den Naturwissenschaften wäre das kein Problem. Sie ist allerdings sehr klein und zart und wäre dann mit den Älteren zusammen.«
»Sollten Sie das nicht besser mit meiner Mutter besprechen?«, sage ich vorsichtig.
Sie schaut mich an und wird leicht rot. »Das habe ich schon versucht. Sie hat nur leider die letzte Sprechstunde verpasst und kommt auch nicht zu den Elternabenden. Luzys Vater ist nicht …«
»Nein«, sage ich entschieden.
Professor der Anthropologie, genial in seinem Job, aber als Vater eher untauglich. Er schafft es gerade mal, sie einmal im Jahr für zwei Wochen mit in den Urlaub zu nehmen.
»Er und meine Mutter sind getrennt. Er lebt in Hamburg.«
Frau Rosen nickt. »Verstehe. Ich denke, für Luzy bist du so etwas wie ein Ersatzvater, oder?«
Ich lehne mich zurück und weiche Frau Rosens Blick aus. Oh nein. Ich habe genug damit zu tun, ein anständiger großer Bruder zu sein, als Ersatzvater fehlen mir eindeutig ein paar Qualitäten, wie man heute Morgen gut gesehen hat. Ich versuche es Frau Rosen zu erklären, aber sie lächelt nur und zeigt auf den Zettel auf dem Tisch.
»Die wenigsten Väter hätten eine Entschuldigung persönlich vorbeigebracht.« Sie steht auf. »Nächste Woche ist ein besonderer Elternabend zum Thema Begabtenförderung und Hochbegabung. Ich würde mich freuen, wenn deine Mutter käme.«
Ich stehe auch auf. »Okay, ich sage ihr Bescheid.«
»Ich gebe Luzy alle Informationen mit. Und falls eure Mutter nicht kommen kann, würde ich mich freuen, wenn du kommst.«
»Ich?«
»Ja, denn es geht um Luzys Zukunft.«
»Verstehe.«
Frau Rosen kommt um den Tisch und reicht mir die Hand.
»Besprich einfach mit deiner Mutter, worüber wir uns heute unterhalten haben. Sie kann sich jederzeit bei mir melden.«
»Gut. Danke.«
Als wir das Besprechungszimmer verlassen, ist es ruhig im Schulhaus. Die zweite Stunde hat längst begonnen. Frau Rosen geht zurück ins Lehrerzimmer, ich bleibe einen Moment stehen und grinse überrascht vor mich hin. Meine kleine Schwester Luzy ist ein Superbrain! Aber eigentlich wusste ich das schon immer.
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Presse / Rezensionen
»Loving more ist eine rundum gelungene Wohlfühlstory, die ihrem zauberhaften Vorgänger in Nichts nachsteht. Ich freue mich auf ein Wiedersehen mit Ella, Luca und den anderen und bin gespannt, wie es in »Loving one more« weitergeht.« Mona (Tintenhain 22.3.2015)
»Loving more sorgt für unterhaltsame schöne und romantische Lesestunden. Ein toller Schreibstil und wunderbare Charaktere konnten mich überzeugen. Das Buch ist absolut lesenswert und es gibt 5 Sterne von mir :)« Etienne (Lovelybooks 7.2015)
»… ist eine Wucht und konnte mich mit seiner sehr realistischen Handlung und den sympathischen ( aber auch unsympathischen) Protagonisten total begeistern. (…) Fazit: Ein sehr realistischer und spannender New Adult Roman aus der Feder der Autorin Katrin Bongard, der durch sein Facettenreichtum und den unvorhergesehenen Wendungen mehr als begeistern konnte!« Samy (Samys Lesestübchen 4.8.2015)
»Eine sehr bewegende und emotionsgeladene Liebesgeschichte die aktuelle Teenagerprobleme gut aufgreift und gut mit einbindet. Eine schöne Handlung die Spannung, Spaß und vielseitige Überraschungen für den Leser bereit hält.« Sabrina (Binchens Bücher 7.7.2016)
»Neben den Büchern und Youtube im Allgemeinen, denn diesmal wird Youtube als Schulaufgabe integriert, beschreibt die Autorin sehr zeitnah, wie intensiv, einnehmend und veränderbar eine Beziehung macht. Sie zeigt aber auch, dass eine gute Beziehung auf geben und nehmen basiert, sowie den Wunsch für seine Liebe und seinen Partner Hindernisse aus den Weg zu räumen.« Sarah (Sarahs Bücherwelt 26.7.16)
KATRIN BONGARD
LOVING ONE MORE
Band 3 der Loving-Serie
E-Book Seiten ISBN |
4,99 € 9,99 € 324 978-3-946494-11-9 |
New Adult – Young Adult – All Age
*Intelligent & Leidenschaftlich. Stolz & Vorurteil reloaded*
Ella und Luca sind noch nicht lange zusammen. Die meisten in ihrer Umgebung geben ihrer Beziehung wenig Chancen. Badboy Luca bleibt nie lange mit einem Mädchen zusammen, wieso sollte es bei Ella anders sein? Sogar sein bester Freund Fritz hat Zweifel. Und die sind nicht ganz uneigennützig, denn Fritz ist schon lange in Ella verliebt. Niemals würde er die Beziehung zerstören, aber wenn Luca Ella aufgibt – dann will er seine Chance nutzen.
Und Ella? Als Buchbloggerin ist sie nicht nur mit ihrem Blog, sondern neuerdings auch mit ihrem YouTube-Channel beschäftigt. Jeder gibt ihr Ratschläge und manchmal weiß sie selber nicht, was ihr gerade am wichtigsten ist. Oder wer … Bis ein dramatisches Ereignis alles ändert.
Loving one more
Eins
Fritz
Wie kann man so dämlich sein. Echt! Sich in die Freundin seines besten Freundes zu verlieben? Hallo? Aber ich möchte hier etwas festhalten, wenigstens für mich: Ich war zuerst in Ella verliebt. Immer schon. Ich habe sie schon toll gefunden, als Luca sie noch nicht mal auf dem Schirm hatte. Als er dieses schräge Ding mit Susanna angefangen hat, als er mit Melanie rumgemacht hat. Und da Melanie sehr gut mit Zoe befreundet ist und Zoe Ellas beste Freundinnen ist, kann er unmöglich sagen, er hätte sie nicht bemerkt. Sie war die ganze Zeit da. Vor seinen Augen.
Aber klar, ich versteh schon. Luca ist der Typ, auf den alle Mädchen stehen, sie suchen ihn aus. Als wäre es ein Naturgesetz. Vermutlich ist das in seinen Genen, genauso wie die Tatsache, dass er supersportlich ist und gut aussieht. Und, Scheiße, ich sollte aufhören, mich mit ihm zu vergleichen. Tue ich ja eigentlich auch nicht. Will ich auch eigentlich nicht.
Umschalten. Ich nehme die Ohrstöpsel raus und lasse die Welt wieder in meinen Gehörgang. Auch wenn mir meine Playlist sehr viel lieber ist, als die Geräusche der Einkaufssüchtigen, die am Samstag das Schloss bevölkern. Das traumhafte Einkaufzentrum mit Ich-weiß-nicht-wie-vielen-Läden.
Okay, es sind unsere Kunden. Wenn sie erschöpft mit den ersten Tüten nach einer Oase suchen, kommen sie zu uns. Sinken draußen auf die Stühle, fallen in unsere Komfortsessel oder setzen sich an die Glasfront und sehen nach draußen. Lesen, trinken den besten Kaffee, den sie hier bekommen können, entspannen sich. Ich schließe das Sicherheitsgitter auf.
Der Samstag ist immer verrückt. Und die verkaufsoffenen Sonntage sind noch verrückter. Bis September gibt es keine mehr. Ist doch gut, oder?
Nicht wirklich. Zum einen ist der Umsatz an diesen Tagen immer enorm. Und wenn ich irgendwann mal den Espresso-laden und die drei Cafés meines Vaters übernehmen sollte, dann muss es mich interessieren. Wenn ich dazu Lust habe, denn je mehr ich im Verkauf arbeite, desto unsicherer werde ich. Ich bin gerne Barista, das finde ich spannend. Aber Geschäftsmann? Hm. Und dann wäre da der zweite Grund. Der idiotische Grund, warum ich mir sogar wünsche, dass es mehr verkaufsoffene Sonntage gäbe. Ella. Denn sie kann hier nur am Wochenende arbeiten und ohne verkaufsoffene Sonntage ist es eben nur der Samstag.
Verdammt, ich sollte wirklich aufhören, so über die Sache nachzudenken. Als hätte ich eine Chance.
Ich gehe in den Laden, aber lasse das Geschlossen-Schild noch hängen. Wir machen erst in einer guten halben Stunde auf. Noch habe ich etwas Ruhe. Ich sehe auf die Uhr: Gleich kommt sie. Verdammt! Wie blöd kann man sein? Ihr hier einen Job zu geben, sie überhaupt in meine Nähe zu lassen. Dort, wo ich sie ständig sehe, ihre leuchtenden Augen, wenn sie von Büchern redet. Denn, hey, das haben wir gemeinsam. Wir lesen. Hallo, Luca? Denn was Bücher angeht ist er, mal abgesehen von der Tony-Hawk-Biografie, eine Jungfrau. Und, nein, das Literatur-Projekt in Deutsch zählt nicht und auch nicht, dass er jetzt versucht, die Bücher zu lesen, die Ella in ihren YouTube-Videos bespricht. Die sind für Mädchen und er weiß das. Ich wette, die blättert er eh nur durch.
Ich checke die Espressomaschine, bereite alles vor. Schütte Kaffeebohnen nach, putze die Tische noch mal ab. Sortiere die Gläser, fülle Wasser in die Karaffe, die daneben steht, schneide eine Zitrone auf. Scheiße, bin ich aufgeregt. Gleich kommt sie. Und irgendwie habe ich das seltsame Gefühl, dass sie langsam ahnt, was ich für sie empfinde. Ich bin nicht besonders gut darin, meine Gefühle zu verstecken. Weiß Luca es? Manchmal denke ich – Hundertprozent. Aber warum sagt er dann nichts, regt sich nicht auf, fordert mich zum Duell? Irgendwie reden wir über diese Dinge nicht. Die schmerzhaften. Ist wie ne Krankheit oder eine Verletzung auf dem Skateplatz. Blutet? Doll? Nee? Okay, weiter geht’s.
Es ist halb neun, gleich muss sie kommen. Ich lege schon mal Musik ein. John Legend. So was höre ich sonst wirklich nicht, aber in letzter Zeit ständig.
All I wanna do is dream, dream, dream.
Like lovers do.
And it might come true.
Dream, dream, dream.
It just might be the only time that I’m with you.
Klar, in meinen Träumen ist alles möglich.
Es klopft an die Scheibe, und ich sehe auf. Und träume nicht. Da ist sie. Jetzt habe ich sechs Stunden mit ihr. Und dann kommt Luca und löst sie ab. Auch so eine idiotische Idee, dass beide hier arbeiten. Am liebsten würde ich Luca seine Schulden einfach erlassen, aber er besteht darauf, sie abzuarbeiten. Und, hey, ich sollte mich vielleicht daran erinnern, dass er sich für die geliehene Kohle einen Anzug gekauft hat, der irgendwie nicht nur nach Abifeier aussah. Will er Ella etwa heiraten? Das ist echt verrückt. Wir gehen doch noch zur Schule.
»Hey!«
Ella schiebt sich durch die Türöffnung, die ich schon gegen die ersten Gäste verteidigen muss.
»Wir machen um neun auf!«, sage ich entschieden.
Der Typ im Anzug sieht mich an, als ob ich ihn absichtlich quälen wolle.
»Nur einen Kaffee.«
»Nur noch zwanzig Minuten.«
Ich schließe die Tür, aber da es eine Glastür ist, starrt er mich weiter an. Wenn Blicke töten könnten.
»Bin ich zu spät?«, japst Ella.
Ja, zehn Minuten.
»Nein. Alles gut.« Ich winke ihr, mir hinter den Tresen zu folgen. »Wie geht’s?«
Sie schiebt sich die Haare aus dem Gesicht, lächelt.
»Super. Was kann ich tun?«
»Erstmal ankommen. Dich entspannen. Magst du einen Kaffee?«
»Gerne.«
Ich fülle das Sieb für zwei Tassen, gieße Milch in eine Metallkanne, aber warte noch, da der Wasserdampf so tierisch viel Krach macht.
Ella steht neben der Theke, beobachtet mich. Ich mag, wie ihr Blick auf mir liegt. Neugierig, interessiert, obwohl ich natürlich weiß, dass sie nur von mir lernen will, wie ich Kaffee mache und Muster in die Milch male. Darum geht es.
»Willst du die Milch aufschäumen?«
»Ja, klar.«
Ich gebe ihr die Metallkanne, halte Abstand.
Sie sieht mich fragend an. »Wie geht das nochmal?«
Okay, ich halte keinen Abstand.
Ich wische die Milchdüse sauber, schiebe die Milch darunter, drehe den Wasserdampf auf. Das typische schnorchelnde Geräusch. Ich bewege die Milch, damit sie gleichmäßig warm wird.
»Man kann die Temperatur am besten testen, wenn man die Hand um die Kanne legt.«
Ich übergebe ihr die Kanne, achte darauf, dass wir uns nicht berühren.
Ella starrt auf die Milch. Sie muss sie mehr bewegen, aber ich sage nichts. Sie reißt den Kopf hoch.
»Hast du mit Luca gesprochen? Habt ihr alles … geklärt? Er kommt heute, oder?«
Ja, stimmt, wir hatten Streit. Immerhin habe ich ihn angelogen. Ella war bei mir, wir haben ein Video geschnitten, ich habe gesagt, sie wäre nicht da, als er gekommen ist und nach ihr gefragt hat. Aber, hey! Da war nichts. Nur Arbeit, die nebenbei bemerkt für ihn war. Wir haben das geklärt. So, wie Luca und ich Streits eben klären.
»Ja, klar.«
Ich sage es lässig und entspannt. Geklärt. Wie Männer. Also irgendwie nicht richtig mit Aussprache und so, aber das wollten wir wohl beide nicht. Trotzdem muss ich es mir selber immer wieder erklären: Ich habe gelogen, weil ich die Sache zwischen ihm und Ella nicht unnötig verkomplizieren wollte. Die Eifersucht. Seine Zweifel. Denn langsam merkt Luca, wie großartig Ella ist. Das erste Mädchen, das ihm die Meinung sagt. Und dass auch noch andere Typen auf sie stehen. Tobias. Und Malte hat auf der letzten Party auch seinen Charme spielen lassen. Ich bin doch der Einzige, der sich zurückhält. Und manchmal frage ich mich, warum ich Luca immer schone? Sogar vor der Wahrheit. Denn eigentlich sind wir Konkurrenten, seit er mit Ella zusammen ist.
»Also alles gut zwischen euch?«
»Ja, ja.«
Ella lässt die Milchkanne gefährlich tief sinken, ich fange sie auf. Sie bemerkt ihren Fehler, meine Hand liegt über ihrer. Ich kann es einfach nicht verhindern. Und entscheide mich für den Rückzug. Denn ich respektiere Ellas und Lucas Beziehung, daher werde ich mich zurückhalten. Und warten. Aber wenn er es vergeigt – dann bin ich da.
Ich nehme die Kanne, stelle den Dampf ab. Der Schaum ist nicht perfekt, nicht annähernd, aber das ist jetzt egal.
»Ich habe das mit ihm geklärt«, sage ich erneut. Feste Stimme. »Ich wollte nicht, dass Luca denkt …« Ellas Augen werden riesengroß, »zwischen uns wäre was. Was ja vollkommener Unsinn ist. Du bist seine Freundin.« Ich lächle beruhigend.
Zugegeben, mein nettestes Lächeln.
Und Ella nickt fast ein wenig überrascht zurück. Ich spüre, wie sie innerlich aufatmet und dann vielleicht sogar etwas enttäuscht ist. Sie hat was geahnt. Aber ich bin gut. Richtig gut. Ich werde mir nichts anmerken lassen. Nie mehr.
»Weißt du, ich muss mich auch erst daran gewöhnen, dass Luca eine feste Freundin hat.«
Ich gieße die beiden Kaffeetassen mit Milch auf.
»Ja«, sagt Ella mit einem kleinen Lacher. »Normalerweise wäre er wohl schon längst mit der Nächsten zusammen.«
Das muss ich nicht kommentieren, das ist common knowledge.
Eine seltsame Stille entsteht. Ich bin mir sicher, wir denken beide das Gleiche: Kann man Luca, was Beziehungen zu Mädchen angeht, überhaupt vertrauen? Aber das muss sie schon selber herausfinden. Und ich bin einfach nur da. Und warte.
Ella horcht auf. »Ist das John Legend?«
»Ja.« Ich reiche ihr den einen Kaffee. »Wir haben noch fünf Minuten.«
Vor der Glasfassade des Cafés warten mindestens zehn Leute.
Die nächsten drei Stunden sind purer Stress. Ich mache die Getränke, Ella steht am Tresen, nimmt die Bestellungen auf, verkauft, legt Brownies auf Teller. Es ist nicht daran zu denken, dass einer von uns auch nur eine kurze Pause einlegt. Gegen zwei kommt mein Vater mit frischem Gebäck und Einkäufen vorbei, und ich schicke Ella nach hinten, damit sie sich mal ausruhen kann. Ich schaffe den Service für eine Weile auch allein, da es etwas ruhiger geworden ist.
»Braucht ihr noch Hilfe?«, fragt mein Vater.
»Nein. Um drei kommt Luca.«
Er nickt. »Okay, dann fahre ich gleich weiter. Bist du heute zu Hause?«
»Eher nicht.«
Ich wende mich wieder den Kunden zu.
»Malte?«
Er grinst. »Einen Coffee Latte.«
Ich frage die Kundin hinter ihm, was sie will, dann kann ich die Kaffee zusammen durchlaufen lassen, packe einen Croissant auf einen Teller. Mein Vater winkt und geht.
»Ganz schöner Stress hier, was?«, sagt Malte, der schon länger scharf darauf ist, dass ich ihm hier einen Job gebe. Nichts gegen Malte, aber Service ist nicht gerade seine Stärke.
»Stimmt schon«, sage ich, als er mir einen Fünfeuroschein hinhält. Malte steckt ihn wieder ein, sieht sich um.
»Sag mal, Luca arbeitet heute, oder? Ist er da?«
»Nein. Der kommt um drei.«
Ich schäume Milch, fülle zwei Gläser, lasse den Espresso hingleiten. Einen für Malte, den anderen für die Frau hinter ihm. Ich stelle die Getränke an die Seite, Selfservice, doch Malte steht immer noch an der Kasse.
»Hey, kann ich dich kurz sprechen?«
»Jetzt?«
In dem Moment kommt Ella von hinten. Malte starrt erst sie an, grinst dann in meine Richtung. »Echt jetzt?«
»Ella? Kannst du kurz übernehmen?«, sage ich und mache eine Kopfbewegung Richtung Sessel. Eine Rettungsmaßnahme. Im Service mag Malte schlecht sein, aber er hat eine verdammt gute Menschenkenntnis. Er hat schon länger den Verdacht, dass ich auf Ella stehe. Er beugt sich zu mir.
»Hältst du das echt für eine gute Idee, gerade Ella hier arbeiten zu lassen?«
»Warum nicht? Sie macht das gut«, sage ich und stelle mich dumm.
»Okay, da will ich mich gar nicht einmischen. Ne andere Sache …«
Malte lässt sich in den einzigen freien Sessel plumpsen. Ich hocke mich neben ihn. Wenn ich im Service bin, darf ich mich nicht setzen. Er beugt sich zu mir.
»Ich hab das Board von Luca.«
»Wie?«, frage ich, weil ich es nicht gleich schnalle.
»Sein Skateboard. Maltes Pfandhaus. Na ja, er brauchte halt Geld!«
»Noch mehr?«, sage ich, und mir wird klar, dass dieser Anzug offenbar wirklich schweineteuer war.
»Er parkt es bei mir, bis er es wieder auslösen kann. Ja, und weißt du, jetzt brauche ich Geld. Oder … ich verkaufe sein Board einfach weiter.«
»Nein!«, sage ich, obwohl ich weiß, dass Malte genau darauf spekuliert hat. »Wie viel?«
»Nen Hunni. Also eigentlich Hundertzwanzig.«
Ich stöhne, einfach damit es keine Selbstverständlichkeit wird, dass ich immer für Luca zahle. Bloß weil ich regelmäßig für meinen Vater jobbe, heißt das noch nicht, dass ich reich bin. Alle übersehen, dass wir ein Familienbusiness haben und alles, was ich arbeite, als Unterstützung für die Familie gilt. Von der ich gerade noch ein Teil bin. Oder auch Ausbildung genannt. Aber es stimmt schon, ich habe Geld.
Ich ziehe mein Portemonnaie aus der Tasche, nehme den letzten Fünfziger heraus.
»Anzahlung. Den Rest bekommst du, wenn du mir das Board bringst.«
Malte sieht mich an. »Traust du mir nicht?«
Ich grinse. »Nicht so richtig.«
Zwei
Ella
Ich schäume die Milch auf, wie Fritz es mir gezeigt hat. Erst wollte ich gar nicht zu meiner Schicht kommen, absagen, jetzt bin ich ruhiger. Und auch etwas beschämt. Mir einzubilden, Fritz wäre in mich verliebt! Ich bin schon wie Melanie, die ständig denkt, dass alle Jungs auf sie stehen.
Und die Videoaufnahmen von mir und Luca vom Skateplatz auf Fritz’ Computer? Die hätte ich mir gar nicht ansehen dürfen. Man öffnet keine fremden Ordner auf fremden Computern. Selber schuld. Wenn Fritz mich gefilmt hat, dann hat Luca ihn bestimmt darum gebeten. Oder es soll eine Überraschung für uns beide sein, oder – verdammt! Ich zucke mit der Hand von der Kanne weg, die Milch ist zu heiß geworden. Und jetzt ist der Schaum schlecht. Ich merke es, als ich die Milch in den Kaffee gieße. Ich weiß nicht, wie Fritz das macht, der auch noch eine Blume oder ein Herz in den Schaum malt. Daran ist bei mir gar nicht zu denken. Zum Glück redet Fritz gerade mit Malte und bekommt das gar nicht mit.
»Zweisechzig.«
Ich kassiere und entdecke Susanna in der Schlange. Wir sind erst um drei verabredet, wenn ich Schluss habe. Nachhilfe. Aber es ist kurz nach halb drei, vielleicht will sie noch einen Kaffee vorher trinken. Dann fällt es mir ein: Natürlich trinkt sie keinen Kaffee. Susanna ist im fünften Monat schwanger. Ich schiele auf ihren Bauch, als sie in der Schlange vorrückt und mich grüßt. Wann wird der wohl dick werden? Riesig, gigantisch? Die Vorstellung, dass dort ein Kind drinsteckt und in vier Monaten in einem Kinderwagen liegt. Ein Lebewesen! Und sie noch zur Schule geht. Wenn sie nicht abbricht. Wobei wir wieder bei der Nachhilfe wären. Wenn Seiler, der ein sehr idealistischer Lehrer ist, denkt, es reicht, mit Susanna den Schulstoff zu pauken, dann ist das naiv. Sie will doch gar nichts mehr lernen.
Ich frage mich mal wieder, wer der Vater des Kindes ist? Susanna schweigt darüber eisern. Ich bin jedenfalls froh, dass es nicht Luca ist. Zoe und ich haben schon alle Typen der Schule in Verdacht gehabt. Sogar einige der jungen Referendare. Das würde zumindest erklären, warum Susanna nicht darüber redet.
»Susanna! Hi.«
»Ein Kräutertee.«
»Ja, klar.«
Susanna sieht sich um, entdeckt Malte und Fritz.
»Ist Luca auch da?«
Susanna ist eine Ex von Luca. Wenn wir uns treffen, dann gibt sie mir als erstes zu verstehen, dass sie ihn viel besser kennt als ich. Okay, ich und Luca sind gerade mal zwei Monate zusammen. Noch nicht mal halb so lange, wie er mit ihr zusammen war. Sie ist sogar schon mal mit ihm verreist. Wenn auch nur kurz.
»Luca kommt um drei. Ich muss noch eine halbe Stunde arbeiten, dann werde ich abgelöst. Kannst ja schon mal sehen, ob wir draußen einen Platz finden.«
»Oder wir lassen es ausfallen«, sagt Susanna.
Okay, das wäre mir auch am liebsten, aber das geht nicht. Seiler hat mich in der Hand.
»Nein, nein. Ich bin ja gleich soweit.«
Wenn ich die Stunden mit Susanna nicht abarbeite, bekomme ich Ärger mit Seiler. Ich frage mich, ob Susanna das vielleicht sogar weiß.
Fritz kommt zurück und begrüßt Susanna.
»Du kannst schon Schluss machen, falls ihr verabredet seid«, sagt er zu mir. »Ist ja gleich drei.«
Ich nicke und gehe nach hinten, um mich umzuziehen. Am liebsten würde ich duschen, denn ich bin verschwitzt, aber das geht hier nicht. Also wasche ich mich nur an dem kleinen Waschbecken. Immerhin kann ich jetzt wieder zurück in meine eigenen Sachen. Ich lege das schwarze Poloshirt und die Schürze in einen Spind.
»Danke!«, sage ich leise zu Fritz, als ich wieder nach vorne komme.
Er lächelt. »Klar doch.«
Draußen hat Susanna tatsächlich einen kleinen Tisch mit zwei Plätzen gefunden. Ich krame in meiner Tasche nach einem Spiralblock und Stift. Auch wenn wir in einem Café sitzen, will ich, dass das hier nach Arbeit und nicht nach Kaffeekränzchen aussieht.
»Ich darf wieder zur Schule gehen«, sagt Susanna.
Ich sehe sie verwirrt an, da darf und zur Schule gehen bei ihr normalerweise nicht in einem Satz vorkommen.
»Meine Ärztin hat gesagt, die Schwangerschaft ist stabil und die Lernsituation ist besser als zu Hause.«
Jetzt versteh ich. Ich denke an Susannas Wohnsituation. Zusammen in einem Zimmer mit ihrer Schwester. Natürlich kann man da nicht richtig lernen. Aber was heißt das für mich?
»Heißt das, du brauchst keine Nachhilfe mehr?«
Sie zuckt mit den Schultern. »Keine Ahnung.«
Dann ist es also keine offizielle Sache und Seiler erwartet, dass ich weitermache. Ich schlage den Spiralblock auf.
»Wollen wir anfangen?«
»Jetzt?«
Natürlich. Dafür sind wir verabredet. Susanna macht mich jetzt schon verrückt.
»Also, ich dachte, wir fangen mit Deutsch an und besprechen kurz die Grundlagen. Die verschiedenen Textarten: Epische Texte, dramatische Texte, lyrische Texte. Kennst du die Unterschiede?«
»Was?«, sagt Susanna, als hätte sie ihr Gehirn abgeschaltet. Ich atme ruhig durch.
»Oder Beispiele für diese Textarten?«
Sie schweigt, also erkläre ich es.
»Mit epischen Texten sind Romane oder Novellen oder Erzählungen gemeint. Dramatische Texte sind Texte für das Theater, also Komödien oder Tragödien und so weiter. Und lyrische Texte, damit sind Gedichte oder Balladen, Hymnen oder auch Poetry Slam gemeint.«
»Poetry Slam?«, sagt Susanna und wacht etwas auf. »Wir waren mit unserem Kurs mal bei einem Poetry Slam. Das war lustig.«
»Ja«, sage ich und verstehe, dass Ballade und Sonett und Drama sich nicht so lustig anhören.
Ich zeichne drei Spalten auf ein Blatt, schreibe über jede Spalte eine Textart und schiebe es zu Susanna.
»Schreib doch einfach ein paar Dramen, Romane oder Gedichte, die du kennst in die Spalten und dann können wir von da aus weiter überlegen, wie man sie interpretiert oder analysiert.«
Susanna wirft lustlos einen Blick auf den Zettel.
»Gedichte? Echt jetzt? Ich trinke erst meinen Tee, okay?«
»Ja, klar.«
Ich versuche mich zu entspannen und mir vorzustellen, wie Luca Susanna Mathe beibringt. Wie schafft er das? Ich schließe die Augen. Bin ich zu ungeduldig? Zu schnell genervt?
»Hey, süßeste Barista der Welt!«, flüstert mir jemand ins Ohr und küsst mich sanft in den Nacken. Luca.
Ich lege den Kopf schief und genieße, wie er sich zu meinem Mund vorküsst. Er zieht mich hoch, umarmt mich und wir küssen uns richtig. Sein Haar duftet nach Shampoo, seine Haut nach Duschgel, er kann einfach nicht sparsam damit umgehen, und ich liebe das an ihm. Die Verschwendung, denn genauso großzügig ist er mit seinen Küssen, seiner Liebe.
Ich öffne etwas die Augen und sehe Fritz hinter dem Tresen und eine lange Schlange von Kunden davor.
»Musst du nicht arbeiten?«, flüstere ich, ohne Luca loszulassen.
»Dafür ist doch noch massig Zeit«, murmelt er, schiebt seine Hände unter mein T-Shirt und legt sie auf meinen Hüften ab. Sofort kribbelt es vor Erregung an der Innenseite meiner Oberschenkel, ich sinke an ihn.
»Und ich muss Nachhilfe geben.«
»Mir nicht«, sagt Luca, und ich spüre seine Erregung.
»Wollt ihr es gleich hier treiben«, sagt Susanna so laut, dass es alle hören können und ich rot werde.
Ich löse mich von Luca, er muss wirklich arbeiten. Und ich auch. Er geht, hält meine Hand aber weiter fest und mich im Blick. Er grinst.
»Ich kann dich nicht loslassen! Wie soll ich mich von dir trennen?«
Okay, jetzt wird er albern, aber das macht ihn leider nur noch attraktiver.
»Ich schreib das mal unter lyrische Texte«, sagt Susanna. »Fragt sich nur, ob das ein Gedicht oder sogar eine Ballade wird.«
»Eine Ballade«, sagt Luca. »Die sind länger, oder?«
Ich lasse seine Hand los und winke. »Wir sehen uns.«
Er seufzt und grinst gleich wieder. »Nachher bei mir oder bei dir?«
»Bei mir. Aber du arbeitest doch bis acht.«
»Ich sag Fritz, er soll mich bei dir vorbeibringen.«
»Okay.«
Ich setze mich erhitzt und aufgeregt. Jetzt habe ich auch keine Lust mehr, mich mit Textarten zu beschäftigen.
»Hach, wenn ich euch so sehe, vermisse ich den Sex«, sagt Susanna. Sie beugt sich vor. »Schon komisch oder, dass das Kind da raus kommt, wo …«
»Wann ist dein Geburtstermin eigentlich?«, frage ich schnell, bevor wir in Regionen vordringen, für die ich mich eindeutig noch nicht reif genug fühle.
»Na ja, so September. Hoffentlich wird es keine Jungfrau. Am liebsten würde ich ja einen Stier bekommen. Die sind so liebevoll.«
Luca ist Stier.
»Ich bin Wassermann, das ist auch nicht schlecht.«
»Ja? Ich finde, das sind Kopfmenschen. Die denken immer nach und analysieren alles.«
Hm. Stimmt. Ich benutze meinen Kopf. Sogar gerne.
»Also wollen wir jetzt noch was machen?«
Susanna wirft die Hände hoch. »Also ich bin bereit«.
Wir arbeiten tatsächlich eine ganze Stunde sehr konzentriert.
»Ich habe noch was für dich«, sage ich, als wir fertig sind. Ich gebe Susanna die Rahmenpläne für das Deutschabitur, die ich ausgedruckt habe.
»Schau dir an, was du noch nicht weißt, dann üben wir das. Was liest du denn gerade?«
Susanna zählt drei Bücher auf, die ich ohne Bedenken als billige Unterhaltungsromane einstufe. Auch ohne mehr als den Klappentext zu kennen.
»Liest du auch Literatur?«, frage ich.
»Du meinst Schullektüre?«
Nein, ich meine gute Bücher. Aber ich versteh schon. Susanna hat gerade kein leichtes Leben. Keinen Freund. Nie Sex und in vier Monaten bekommt sie ein Kind. Sie braucht Unterhaltung.
»Weißt du schon, ob es ein Mädchen oder ein Junge wird?«
»Nein. Aber das will ich auch nicht wissen.«
»Warum das nicht?«, fragt Malte, den ich erst jetzt bemerke. Er zieht sich einen Stuhl an den Tisch.
»Soll ein Geheimnis bleiben.«
Malte grinst. »Für wen?«
Susanna verdreht die Augen. Sie weiß, dass wir alle wissen wollen, wer der Vater ist. Und schweigt weiter.
»Hört mal, ihr Süßen«, sagt Malte. »Nächste Woche haben wir doch ab Donnerstag schulfrei. Vatertag, und Freitag ist Brückentag. Wir dachten, wir machen einen kleinen Ausflug an die Havel. Mit übernachten. Seid ihr in?«
»Wer denn alles?«, frage ich.
»Wie immer?«, sagt Susanna, um mir zu zeigen, dass ich der Neuzugang bin. Okay. Also die Clique um Luca.
»Fritz und Luca, Hilke, vielleicht Melanie, ich und dann ihr, wenn ihr wollt.«
»Klar«, sagt Susanna. »Das war so toll letztes Jahr.«
»Ich weiß nicht«, sage ich, denn ich kann mich nicht so schnell entscheiden, schon gar nicht, wenn ich keine Ahnung habe, worum es eigentlich geht. »Also schwimmen gehen und dann zelten?«
Susanna lacht. »Doch nicht zelten! Wir übernachten einfach in Schlafsäcken am Strand.«
Ich verkneife mir die Bemerkung, dass das verboten ist.
»Und Lagerfeuer«, sagt Malte.
Und auch das verboten ist.
»Ja, das war so geil«, ruft Susanna und wirft sich lachend zurück. »Als dir der Schlafsack angebrannt ist.«
Malte grinst. »Ich kann mich an nichts erinnern.«
»Ach nee, Tequila?«
»Du warst auch betrunken!«
Susanna stöhnt. »Maaann, und ich darf nicht mehr trinken.«
»Also was ist?« Malte fixiert mich. »Luca hat schon gesagt, dass er dabei ist.«
»Okay. Dann … Wann denn genau?«
»Na ja, wir können Donnerstag früh gleich los. Wir treffen uns mit den Rädern bei Fritz.«
»Vielleicht hat Zoe Lust mitzukommen.«
Malte reißt den Arm hoch. »Ja, klar, natürlich.«
»Okay.«
Ich stehe auf und packe meine Sachen zusammen. Ich will unbedingt noch in die große Buchhandlung hier im Schloss und sehen, ob es Neuerscheinungen gibt. Ich will mir den vierten Band der Raven-Boys-Reihe holen. Wo das Dunkel schläft. Die englische Ausgabe, vor allem das Cover, gefällt mir eigentlich besser, aber die deutsche Ausgabe ist ein Hardcover und die habe ich lieber in meinem Regal.
»Wo gehst du denn jetzt hin?«, sagt Malte und reißt mich aus meinen Gedanken.
»Äh, ich wollte noch in die Buchhandlung …«
»Typisch«, sagt Susanna.
»Hey, da geh ich mit«, sagt Malte. »Ich such noch was für meinen Vater zum Vatertag.«
Susanna reißt die Augen auf. »Du willst ihm ein Buch schenken? Ich dachte man schenkt Bier oder so.«
»Na ja, er liest, was soll man machen.«
Ich umarme Susanna und gehe kurz ins Café zu Fritz und Luca, die nebeneinander hinter dem Tresen stehen.
»Tschüss. Ich geh jetzt.«
Beide strahlen mich an und für einen Moment kommt es mir vor, als wären sie beide meine Lover.
»Bis nachher«, sagt Luca.
Ich winke und gehe nach draußen, wo Malte auf mich wartet.
»Alles klar?«, sagt er und sieht mich mit einem Blick an, den ich nicht deuten kann.
»Ja, sicher.«
Der Buchladen ist nur ein paar Läden weiter. Malte schlurft neben mir. Er ist ein Freund von Luca und Fritz, aber ich kenne ihn kaum und habe ihn erst einmal auf der Geburtstagsparty von Luca getroffen. Er trägt wie immer Schwarz, seine Hose ist an den Knien aufgerissen, die schwarzen Nikes trägt er offen. Wer uns sieht, wird sicher denken, wir sind ein Paar. In der Spiegelung einer Schaufensterscheibe sehe ich, wie unterschiedlich wir sind. Ich mit einer heilen Jeans, Turnschuhen, einem blauen Sweatshirt und meine Haare zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden. Seit ich täglich laufe, liebe ich diesen Look: Casual, entspannt, sportlich. Und dann Malte, dem man abnehmen würde, dass er auf der Straße lebt mit seinen leicht verfilzten Haaren und den runtergetretenen Turnschuhen. Doch es ist mir nicht peinlich, im Gegenteil, ich finde es sogar etwas aufregend, dass Malte mich begleitet. Vor ein paar Monaten hätte er mich einfach nur für eine langweilige Streberin gehalten, aber seit ich mit Luca zusammen bin, gehöre ich zu der coolen Clique. Gewöhnt habe ich mich allerdings immer noch nicht richtig daran.
»Was liest dein Vater denn so«, frage ich, als wir in die große Ladenfläche des Buchladens laufen. Eigentlich bin ich lieber in kleinen Buchläden, aber die große Auswahl ist eindeutig ein Vorteil.
»Krimis und Thriller. Kannst du was empfehlen?«
»Da kenne ich mich nicht so gut aus.« Ich zeige auf den Tisch mit den Thrillern und Krimis. »Stieg Larsson soll gut sein.«
»Die hat er schon alle.«
Wir stehen eine Weile nebeneinander am Krimitisch, nehmen Bücher auf und sehen uns Klappentexte an. Die Art, wie Malte die Bücher in die Hand nimmt, das Cover betrachtet, erst die Rückseite liest, dann im Buch blättert … Eindeutig ein Leser. Was ich nicht erwartet hätte.
»Was liest du denn so?«
Er sieht überrascht auf. »Ich? Nicht viel. Nicht so wie du.«
»Sag schon.«
»Kennst du G.R.R. Martin?«
»Na klar. Ich meine, die Bücher habe ich noch nicht gelesen, aber ich habe die Serie gesehen. Zoe hat mich dazu über-redet.«
»Die ist krass, oder?«
»Ja.«
Wir gehen weiter an den Tisch mit den Fantasy-Büchern.
»Ey, seine Bücher sind echt so mega fett.« Malte hält zwei Bände von G.R.R. Martin wie Gewichte hoch. »Aber wenn man mittendrin ist, dann wünscht man sich, dass sie noch dicker wären.«
»Das Gefühl kenn ich.«
»Was liest du so?« Er grinst. »Liebesromane?«
Ich sehe ihn direkt an. »Warum nicht?«
Er sieht weg. »Schon okay.« Er dreht Die Erben von Winterfell um, liest das Preisschild. »Das sind Taschenbücher und so verdammt teuer. Ich hol mir die immer gebraucht. Wär ja genial, wenn mein Vater die lesen würde, dann könnte ich sie ihm schenken und danach selber lesen.«
»Du kannst sie dir doch in der Bücherei ausleihen.«
»Ach, die sind doch immer weg.«
»Das kenn ich auch.«
Jetzt grinsen wir beide.
Ich sehe auf ein Plakat hinter Maltes Rücken.
»Hey, ich glaub ich hab was für deinen Vater. Kennt er Nesbø?«
»Wie?« Malte dreht sich um und sieht das Plakat von Jo Nesbø und seiner Harry-Hole-Reihe.
»Mein Vater liest die Reihe gerade. Er sagt, die Bücher sind sehr brutal, aber gut.«
»Ey, genial, Ella. Da hole ich ihm eins.«
Malte geht zurück zu den Thrillern. Ich wandere weiter in die Jugendbuchabteilung. Fast ist es mir etwas peinlich, aber nun ja, es gibt sehr gute Jugendbücher und viele sind sehr viel besser als die Chicklit- oder Liebesbücher für Erwachsene, die auf dem Tisch liegen, an dem ich gerade vorbeikomme. Chicklit – Als wäre das Leben ein großes rosa Bonbon und jede Liebesbeziehung ein Witz. Für mich ist das anders. Ich glaube an Liebe für immer. Aber ist das nicht auch etwas naiv?
Jugendbuchabteilung.
Okay, ich sehe den Fantasy-Buchtisch schon und mein Herz schlägt schneller. Da steht schon ein großer Stapel mit Wo das Dunkel schläft. Ich nehme eines der Bücher in die Hand, streiche über den Umschlag. Ja, ich streichele Bücher. Daneben liegen die anderen Bände. Band eins habe ich. Aber Band zwei und drei noch nicht. Und jetzt habe ich ein Problem. Sollte ich mir nicht erst die vorherigen Bände holen, bevor ich mir den vierten hole? Ich mag es nicht, wenn ich im Regal einen ersten und vierten Teil stehen habe, ohne die Zwischenbände. Es fühlt sich nicht richtig an. Aber so viel Geld habe ich nicht. Unmöglich. Band zwei und drei habe ich mir außerdem in der Bücherei ausgeliehen und schon gelesen. Ich jetzt bin ich einfach neugierig auf Band vier.
»Hey, hier versteckst du dich also«, sagt Malte. Er hält einekleine Tüte hoch. »Leopard. Der Titel gefiel mir am besten.«
Malte tippt auf die Bücher von Maggie Stiefvater.
»Sind die gut?«
»Ja. Auch Fantasy, aber nicht kitschig.«
»Brutal?«
»Eher nicht.«
Malte nimmt Wen der Rabe ruft, den ersten Band der Raven-Boy-Reihe hoch, dreht ihn in der Hand, beginnt den Anfang zu lesen. Ich weiß, dass er jetzt den Prolog liest, die Weisungen an Blue Sargent, dass sie ihrer ersten Liebe den Tod bringen wird. Wenn ihn das Thema packt, der Sprachstil, dann wird er das Buch nicht so schnell aus der Hand legen, obwohl ich mir denken kann, dass er es eigentlich uncool findet, ein Jugendbuch zu lesen.
Er blättert um. Ha! Er hat sich festgelesen.
»Ich kann dir das Buch leihen.«
»Was?« Er taucht aus den Seiten auf wie in Schwimmer aus den Wellen.
Ich muss lächeln. »Ich habe das Buch. Ich kann’s dir leihen.«
»Ja, echt?«
»Klar.«
Ich nehme entschlossen den vierten Band auf.
»Kaufst du es?«, fragt Malte.
»Ja.«
Über Leidenschaft kann man nicht diskutieren. Die anderen Bände hole ich mir dann später.
»Cool.« Malte blinzelt. »Hast du Lust auf ein Eis?«
Ich sehe überrascht auf.
»Okay.«
zurück zum Buch
Presse / Rezensionen
„Loving one more verbindet die Literatur mit coolen Skateboardmoves und die Liebe mit zahlreichen Problemen – ein Jugendbuch mit viel frischem Wind!“ ( Conny – Die Seitenflüsterin)
KATRIN BONGARD
LOVING FOR YOU
Band 4 der Loving-Serie
E-Book Seiten ISBN |
4,99 € 9,99 € 324 978-3-946494-07-2 |
New Adult – All Age – Liebe
*Intelligent & Leidenschaftlich. Stolz & Vorurteil reloaded*
Nach Lucas Unfall ist alles anders. Die Freunde begreifen, wie kurz das Leben ist. Jeder geht anders damit um. Zoe liebt Partys, Festivals, Musik, sich zu verlieben. Das Leben ist ein Fest und sie will es genießen. Dazu gehört auch die Freundschaft mit Vorzügen zu ihrem Cousin Robert. Warum versteht Ella das nicht? Doch Ella hat ihre eigenen Probleme. Sie fühlt sich schuldig an Lucas Unfall und muss ein längst fälliges Gespräch mit Fritz führen.
Teil 4 der Liebesgeschichte um das ungleiche Paar: Ella und Luca
Loving for you
Eins
Axel
Ich höre wie die Tür klappt, Holz auf Metall, das typische Geräusch in diesem Haus, an das ich mich schon so gewöhnt habe. Luca will also nicht gefahren werden. Fährt lieber selbst. Vielleicht übertreibe ich auch, will der beste Stiefvater aller Zeiten sein, ich übe noch.
Kurz nach sechs Uhr, es ist schon hell. Ich gehe nach oben, zurück ins Schlafzimmer und bin mir nicht sicher, ob ich wieder einschlafen will, doch Monja liegt eingerollt auf der Bettdecke und schläft fest. Also schmiege ich mich an sie und schlafe doch ein, träume wirr und unzusammenhängend. Allein Monjas Körper zu berühren, weckt mein Unterbewusstsein, die alten Wunden, das, was ich hinter mir lassen will. Ich lege meine Hand auf ihren Bauch, das Leben, das dort entsteht, eigentlich habe ich es noch gar nicht richtig begriffen. Erst kein und jetzt auf einmal beinahe vier Kinder. Das alles in weniger als einem Jahr. Aber manchmal ist alles richtig, dann kann es schnell gehen. Ohne Widerstände, ohne Probleme.
Als ich wieder aufwache, ist es neun Uhr morgens und Monja schon wach. Sie sitzt im Bett, die Beine angezogen, auf ihren Knien ihr Laptop, ein altes Ding, aber sie lässt nicht zu, dass ich ihr ein neues kaufe.
»Alles okay?«, frage ich, da ich ständig in Sorge bin, ob es ihr gut geht. Ist das so, wenn man eine schwangere Partnerin hat? Sich andauernd zu fragen, ob alles in Ordnung ist? Früher habe ich mir nie Gedanken gemacht, noch nicht mal auf mich selbst aufgepasst. Doch jetzt ist alles anders.
Ich ziehe mich hoch, viel müder als vorhin um sechs Uhr.
»Ja, alles gut.«
Sie nickt, ohne vom Bildschirm aufzusehen.
»Ich wollte nur mal nachsehen, ob das auch klappen kann.«
Ihr Traum. Und wenn es ihr Traum ist, dann bin ich dabei.
»Und?«
»Wir müssen natürlich alles schleppen, aber die Kinder können uns helfen. Autos sind verboten auf der Insel. Oder wir nehmen einen Leiterwagen mit. Es gibt auch ein kleines Café auf der Picknickwiese.«
Sie schiebt den Laptop so, dass ich auf den Bildschirm und die Karte sehen kann.
»Oder wir feiern am Schloss. Ist das nicht noch schöner?«, schlage ich vor.
»Ich bin mir nicht sicher, ob man dort picknicken darf. Oder sogar einen Tisch aufstellen.«
Ich war am Anfang nicht unbedingt ein Fan der Idee, unsere Hochzeit auf der Pfaueninsel zu feiern. Eine Miniinsel in der Havel, die im Sommer an Wochenenden mit Touristen und Berlinern überlaufen ist. Ein Tourismus-Hotspot. Aber jetzt habe ich mich an den Gedanken gewöhnt und finde es großartig. UNESCO-Kulturerbe und Naturschutzgebiet. Eine Insel auf der Autos, Hunde und Rauchen verboten sind. Mit wunderschönen, jahrhundertealten Bäumen. Mit einem Schloss und Palmenhaus und Rosengarten. Eine Insel, die man nur mit einer Fähre erreicht und auf der Pfauen frei herumlaufen. Sie hat mich überzeugt, es ist der beste Ort für unsere Hochzeitsfeier. Einziger Nachteil: Wir müssen die Insel bis neunzehn Uhr verlassen, dann geht die letzte Fähre.
»Man darf dort nicht skaten«, sagt Monja und sieht mit einem skeptischen Blick auf.
»Ich glaube nicht, dass Luca auf unserer Hochzeit unbedingt skaten will«, sage ich noch immer leicht schlaftrunken.
»Immerhin ist er heute um sechs Uhr aufgestanden, um auf den Platz zu fahren. Wenn ich ehrlich bin, dann hätte ich nicht gedacht, dass er das schafft. Wie ging es ihm denn? Er hat sich doch sicher gewundert, dass du mit ihm aufgestanden bist.«
»Allerdings. Ich wollte ihn fahren …«
Monja legt ihre Hand auf meinen Arm. »Axel, meine Kinder sind selbständig.« Sie klappt den Laptop zu. »Was ist jetzt mit deinen Eltern?«
Das Thema. Sie fragt ständig, aber über meine Eltern rede ich nicht gerne.
»Was soll mit ihnen sein?«
Monja sieht mich an, dieser Blick, den ich auch von Hannah kenne. Den Kopf leicht schiefgelegt, als ob es eine Multiple-Choice-Frage wäre und ich das falsche Kästchen angekreuzt hätte.
»Okay, ich sag ihnen Bescheid. Vielleicht kommen sie ja.«
»Wissen sie überhaupt von dem Kind? Es ist immerhin ihr Enkelkind.«
»Glaub mir, sie haben genug Enkelkinder. Ich meine – natürlich nicht von mir.«
»Gut, aber es ist dein erstes Kind.«
Ich versuche, mir meine Eltern in diesem Haus vorzustellen. Mitten in dem bunten Chaos, mit Tantra-Zeichnungen im Flur und einer Tüte mit Kondomen im Garten, aus denen Luzy Wasserbomben gebastelt hat.
»Ich würde sie gerne vor der Hochzeit mal kennenlernen. Warum kommen sie nicht einfach mal vorbei?«
Ich lächle verkrampft. Ich spüre direkt, wie meine Mundwinkel sich verspannen, wenn ich nur an diese Möglichkeit denke. Das ist nicht lustig.
Monja langt nach ihrem Handy, hält es mir hin.
»Ruf sie an! Sie sind bestimmt schon wach.«
Oh ja. Ganz bestimmt.
»Monja, ich kümmere mich drum. Versprochen, ich …«
Es klingelt. Unten, der überflüssige Festnetzanschluss. Den Monja nur deshalb hat, damit ihre alten Yoga-Schülerinnen, die Handys aus Angst vor Elektrosmog ablehnen, sie anrufen können.
»Ich geh schon.«
Monja lächelt dankbar.
Offen gestanden bin ich sicher, dass es gleich zu läuten aufhört. Es ist Sonntag, Freunde!
Aber – so viel habe ich schon begriffen – für Yoga, Meditation und Tantra existieren keine Wochenenden. Und da Monja auch noch so etwas wie eine Psychologin für ihre Schülerinnen ist, rufen diese vollkommen ungeniert an, wann immer es ihnen passt. Ich trödele extra lange auf der Treppe herum, denn ich weiß, dass dieses fordernde Läuten des Telefons in einem zweistündigen Therapiegespräch enden wird, für das Monja natürlich keine Rechnung stellen wird. Kein Wunder, dass sie ständig pleite ist.
Doch als ich unten ankommen, läutet es noch immer. Fordernd, ungeduldig.
»Ja? Bei Maibach.«
Ich lege meine Stimme extra tiefer, um gleich klarzustellen, dass ich vorhabe, Monja abzuschirmen.
»Was? Hey? Axel, bist du das?«
Die Stimme flattert. Okay, das ist keine Yogaschülerin.
»Malte?«
»Ja, ich … Scheiße! Luca hat sich verletzt. Ich bin im Krankenhaus, kann jemand kommen?«
Mein Pulsschlag fährt hoch, dann erinnere ich mich: Luca ist immer verletzt. So wie Monja es mir erklärt hat, hat er ein Dauerabo in der Notaufnahme. Skater, Free-Runner, Snowboarder.
»Klar, ich komme und hol euch ab. Wo seid ihr? Was ist mit den Fahrrädern?«
Schweigen. Im Hintergrund höre ich Menschen rufen, ganz entfernt eine Sirene.
»Malte?«
»Scheiße, scheiße!«
Malte schnieft und dann begreife ich es. Mein Körper spannt sich: Alarm.
»Was ist passiert?«
»Luca hat, es … er ist gestürzt, auf der Rampe.« Malte schluchzt. »Er hat sich nicht mehr bewegt. Sie haben ihn … er … ich weiß nicht.«
»Okay, wo bist du?«
Er nennt mir das Krankenhaus, ich lege auf. Und erstarre kurz bei den Gedanken und Möglichkeiten, die mir durch den Kopf schießen.
»Axel?«
Mit dem Instinkt einer Löwenmutter steht Monja oben am Treppenabsatz und sieht nach unten.
»Luca«, sage ich ruhig, als ob nichts wäre. Es hat überhaupt keinen Sinn, Monja jetzt zu sehr zu beunruhigen. »Malte hat angerufen. Er ist gestürzt und ist im Krankenhaus. Ich fahr hin.«
»Gestürzt? Krankenhaus?«, sagt Monja mit einer Stimme, die deutlich höher und dünner ist als sonst. »Ich komme mit.«
Ich überlege was am besten ist. Ich fahre vor. Sie kommt nach. In Ruhe. Doch Monja sollte nicht alleine fahren.
»Mama?«
Luzy steht mit verwuschelten Haaren an der Treppe.
»Axel, jetzt sag doch mal, was los ist?«
»Ich … weiß auch nicht. Ich glaube, er ist … bewusstlos.«
Am Ende fahren wir alle, sogar Hannah. Diese Familie hat einen sechsten Sinn für jedes Familienmitglied und sie halten zusammen.
Ich parke vor dem Krankenhaus in Potsdam, in das man Luca gebracht hat. Ich will vorgehen, mich erkundigen und irgendwie verhindern, dass Malte auf die Familie trifft, etwas Schlechtes erzählt, aber sie bestehen darauf, sofort mitzukommen. Alle. Also gehen wir zu Anmeldung, ich trete an den Counter.
»Luca Hansen.«
Die Frau an der Aufnahme sieht in den Computer.
»Intensivstation.«
»Scheiße!«, rutscht es mir heraus.
»Intensivstation?« Monja und die Mädchen rücken näher.
»Sind sie ein Angehöriger?«
»Ja!«, sage ich ohne zu zögern.
Die Frau sieht uns an. »Sie können da nicht alle rein.«
»Ja klar. Wir warten davor.«
Ich drehe mich zu Monja. »Wir müssen nach oben.«
Im Gang vor der Intensivstation sitzt Malte. Er springt auf, als wir näherkommen. Man sieht, dass er geheult hat. Mein Herz rast. Ich weiß nicht genau, womit ich mehr beschäftigt bin: Monja von einer Wahrheit abzuschirmen, die ich selbst noch nicht kenne, oder mich auf diese Wahrheit vorzubereiten.
Ich nehme Malte beiseite.
»Was ist?«
Er zuckt mit den Schultern und hält mir Lucas Rucksack hin. Er steht offensichtlich unter Schock, denn wen interessiert jetzt Lucas Rucksack?
»Was sagen die Ärzte?«
»Nichts?«
Vor der Intensivstation stehen ein paar Plastikstühle.
»Setzt euch«, sage ich kurz und entschieden. »Ich versuch’ mal, was rauszufinden«.
Und klingle an der Tür zur Station. Es dauert eine Weile, bis geöffnet wird. Aus den Augenwinkeln sehe ich, wie Monja Malte befragt. Die Tür wird kurz geöffnet, ich trete ein und auf den nächsten weißen Kittel zu.
»Luca Hansen, ich bin der Vater.«
Ich sage es wieder, ohne Zweifel. Ich bin heute Morgen mit ihm aufgestanden, er wollte nicht, dass ich ihn fahre, wäre sonst alles anders gekommen? Ich bin verantwortlich, ich bin der Vater. Jedenfalls jetzt.
Die Schwester nickt. Wie viel Mitleid liegt in ihrem Blick? Doch da ist nichts, nur professionelle Freundlichkeit. Allerdings ist schon die Tatsache, dass sie mich nicht gleich wieder hinauswirft, kein gutes Zeichen.
»Ich sehe mal, ob ein Arzt mit Ihnen sprechen kann. Warten Sie hier«, sagt sie und deutet auf einen Stuhl.
Ich kann mich nicht setzen, unmöglich. Ich tigere auf und ab und versuche einen Blick in die Station zu werfen, Luca zu entdecken, doch ich weiß gleichzeitig, dass Notfälle sofort behandelt werden und nicht irgendwo im Gang herumliegen.
Eine Viertelstunde später kommt ein Arzt. Er hält mir die Hand hin, ich stehe auf.
»Es tut mir leid, Ihr Sohn hat ein Schädelhirntrauma.«
Verdammt, verdammt!
»Wie ist der GCS-Wert?«, frage ich.
Ich wundere mich, dass mir das Wissen sofort wieder so nah ist, mir alle Begriffe einfallen. Und bete gleichzeitig: Über 10. Nicht unter 9, bitte nicht unter neun.
»Sind Sie Arzt?«
»War. Ich habe die Ausbildung abgebrochen.«
»Wir machen gerade ein CCT.«
»Der Wert? Wie ist sein Wert?«
»Schwer zu sagen.« Der Arzt seufzt leicht. »Vielleicht 10.«
»Sonst noch Verletzungen?«
»Rippenbrüche, die aber keinen weiteren Schaden angerichtet haben. Wir intubieren, da er im Koma liegt, doch was uns derzeit am meisten beschäftigt …«
»Die Gehirnschwellung?«
Er nickt.
»Was kann ich der Familie, also meiner Familie sagen?«
Er blinzelt kurz. In meinem praktischen Jahr habe ich viele Ärzte kennengelernt. Die meisten müssen eine innere Distanz zu ihren Patienten aufbauen, sie ist sogar eine Grundvoraussetzung für eine gute Arbeit. Zumindest in der Chirurgie. Genau das hat mich gestört. Ich konnte und wollte das nicht trennen. Gespräche mit Angehörigen gehören zum Job eines Arztes, doch niemand könnte schlechter dafür geeignet sein. Es darf nicht ihre Aufgabe sein, sich von Gefühlen oder Mitleid leiten zu lassen, so könnten sie Behandlungsmöglichkeiten übersehen oder sich von schwierigen Situationen lähmen lassen. Und obwohl ich das weiß, wünsche ich mir jetzt nur eines: dass mich der Arzt beruhigt. Freundlich und nett zu mir ist. Mich umarmt. Mir Hoffnung gibt.
»Es ist noch zu früh, Genaueres zu sagen. Wir müssen abwarten.«
Abwarten. Natürlich meint er nur mich. Nicht sich, obwohl er »wir« sagt, um mir das Gefühl zu geben, es wäre ein gemeinsames Leid, etwas, das uns beide betrifft. Vielleicht, weil es dann leichter zu tragen ist? Ich habe dieses Arzt-Patienten-Wir nie verstanden.
»Und wann bekommen wir die Ergebnisse des CCT?«
»Fragen Sie einfach nach mir.« Er nennt mir seinen Namen. »Sie wissen ja sicher, dass wir unser Bestes tun.«
Ich nicke. Ich weiß, er redet überhaupt nur so offen mit mir, weil ich auch mal in der Ausbildung war. Es macht auch überhaupt keinen Sinn, mich jetzt mit ihm zu streiten, doch ich möchte ihn anbrüllen. Er soll das ernster nehmen. Viel ernster. Luca zur ersten Priorität machen. Natürlich weiß ich, dass er das nicht tun kann, dass es zurzeit auch nicht viel nützt. Im Koma. Wir können nur warten. Und hoffen.
Zwei
Ella
»Nein, Ella, das siehst du ganz falsch!«
Zoe sitzt auf meinem Bett und gestikuliert wild mit den Armen. Ich reiche ihr eine Schale Milchkaffee, Frühstück im Bett, unser Sonntagsritual, aber sie redet weiter und ich stelle die Schale schließlich zurück aufs Tablett und auf meinen Schreibtisch.
»Wie soll ich das denn sehen? Er nutzt dich für Sex aus. Ende.«
»Unsinn. Ich habe Spaß. Wir haben Spaß.«
»Ach ja? Du hast mir gesagt, er hat seinen Spaß, aber dir geht das immer zu schnell.«
Zoe seufzt. »Na ja, es liegt halt an den Orten. Wir können ja nicht ewig …«
»Exakt!«
Sie fächelt sich Luft zu. Obwohl es erst zehn ist, ist es schwülwarm im Zimmer, die Glasfronten unseres Hauses heizen die oberen Räume des Hauses noch mehr als die unteren auf. Selbst bei geöffnetem Fenster steht die Luft.
»Erklär es mir«, sage ich und setze mich zu Zoe aufs Bett. »Warum könnt ihr nicht einfach zusammen sein? Ganz normal. Oder eben Freunde Plus, aber dann auch ganz offen. Auch wenn ihr Cousin und Cousine seid.«
Zoe stöhnt und wirft sich zurück. Schweigt. Robert nutzt Zoe aus. Es mag ihm schlecht gehen, er hat vor kurzem seine Mutter verloren, aber das kann ja nicht immer eine Ausrede sein.
»Also Robert wohnt mit Max in einem Zimmer«, sagt Zoe und streckt die Hände zur Decke, als ob sie die Götter um Hilfe anrufen würde. »Und wenn er und ich zusammenkommen oder so, also öffentlich … Meine Eltern werfen ihn vielleicht raus.«
»Glaub ich nicht. Aber dann könnte Robert mit in dein Zimmer ziehen und ihr könntet beim Sex endlich in einem normalen Bett miteinander schlafen.«
Zoe richtet sich leicht auf, verengt ihre Augen, der schweigende Blick.
Okay, ich weiß, dass der Vorschlag unrealistisch ist. Ich will nur, dass Zoe einsieht, dass es Robert vielleicht ganz recht ist, wenn alles so schwierig ist. So hat er einen Vorwand, sich nicht wirklich auf Zoe einlassen zu müssen und kann weiter herumlaufen und jedes Mädchen anmachen. Was er auch tut.
Zoe richtet sich ganz auf. »Hör mal, bloß weil es zwischen dir und Luca schlecht läuft, musst du deinen Frust nicht an mir auslassen. Was war eigentlich gestern los? Wieso sind Hannah und Luzy so plötzlich gegangen?«
Ich vergrabe mein Gesicht in meinen Händen. Oh, Mist. Ich will einfach nur im Boden versinken, sobald ich daran denke. Fritz und Luca und Hannah und Luzy und dieses ganze Chaos der letzten Wochen. Ich hatte so gehofft, dass Zoe bei mir übernachtet und nicht mit Robert zu sich nach Hause fährt, weil ich unbedingt mit ihr reden musste, aber dann gab es am Abend einfach nicht den richtigen Zeitpunkt dafür. Und jetzt ist es Morgen, doch statt, dass ich mit Zoe über Luca und mich und Fritz rede, streiten wir uns schon eine halbe Stunde über ihre Beziehung zu Robert.
Zugegeben – der Streit ist eindeutig ein Vorwand, weil ich nicht den Mut habe, Zoe von all dem Chaos zu erzählen, für das ich mich verantwortlich fühle. Aber – warum eigentlich? Was kann ich denn dafür, wenn sich Lucas bester Freund in mich verliebt!
Zoe löst jeden Finger einzeln von meinem Gesicht.
»Ist es wegen diesem spontanen Besuch gestern?«
»Wer hat das erzählt?«
Eigentlich kommen nur Hannah und Robert in Frage, denn sie waren da, als Fritz gestern ohne Voranmeldung vorbeigeschaut hat. Sie haben zwar nichts gesehen, aber sicher alles gehört: Seine Liebeserklärung. Hannah wird nicht darüber geredet haben, sie ist schnell gegangen, also kommt nur Robert in Frage.
»Robert?«
Zoe nickt. »Er meinte, Luca wäre plötzlich aufgetaucht, um sich mit dir zu versöhnen. Aber du hast ihn rausgeworfen.«
Ich bin für einen Moment sprachlos. Robert hat Fritz und Luca verwechselt. Beide Stimmen sind relativ ähnlich und er hat nicht gesehen, mit wem ich gesprochen habe. Verwechselt.
Für mich vollkommen unmöglich. Ich bin in Luca verliebt und Fritz – mag ich. Mehr nicht. Doch Fritz hat mir eine Liebeserklärung gemacht und Luca hat unsere Beziehung vor ein paar Wochen einfach so beendet. Vielleicht wird es Zeit, dass ich meiner besten Freundin langsam mal alles erkläre. In Ruhe. Der Reihe nach.
»Es war nicht Luca, der gestern gekommen ist.«
Zoe starrt mich an.
Ich weiß, ich weiß, ich habe mich in letzter Zeit merkwürdig verhalten. Und irgendwie auch verändert. Ich dachte immer, ich bin besonnen und vernünftig. Doch seit ich mit Luca zusammengekommen bin, ist alles anders. Verändert. Als ob sein Chaos ein Virus wäre, der langsam auf mich übergeht. Und mich nicht nur spontaner und freier macht, was absolut großartig ist, sondern auch zu ein paar sehr unvernünftigen Entscheidungen geführt hat. Ich hätte nie bei Fritz im Café arbeiten dürfen! Ich hätte ihm keine Hoffnungen machen dürfen und mich schon gar nicht ein klein wenig in ihn verlieben dürfen, solange ich mit Luca zusammen bin. Okay, jetzt ist es raus. Zumindest mir selbst habe ich es eingestanden. Ich dachte nicht, dass man in zwei Menschen gleichzeitig verliebt sein kann, dass das überhaupt geht. Aber jetzt ist alles anders. Seit Luca sich von mir getrennt hat, ist mir Fritz egal. Er ist nicht wichtig. Der Liebeskummer ist so stark, dass ich gar nicht mehr verstehen kann, weshalb ich nicht schon vorher erkannt habe, dass Luca der Einzige ist, auf den es mir ankommt. Aber klar – ich war geschmeichelt. Ich habe es genossen, von Fritz umworben zu werden. Mehr war da nie. Jedenfalls nicht von meiner Seite.
»Jetzt erzähl mal«, sagt Zoe. »Wir wissen ja alle, dass Fritz in dich ist. Das war ja schon immer so.«
»Ach ja?«
Hätte mir das jemand vielleicht mal sagen können?
»Na klar, wie er dich immer angesehen hat. Ella, manchmal bist du wirklich …«
»Was?«
»Ein wenig naiv.« Zoe überlegt kurz. »Also hat Fritz dir eine Liebeserklärung gemacht?«
Ich werde rot.
»Und was noch? Habt ihr etwa?«
»Nein!«
Ich verkneife mir zu sagen, dass ich nicht wie sie bin und an jedem Ort Sex habe, der eine Wand hat. Das wäre nur gemein. Denn das mit Robert ist auch für Zoe nicht typisch. Und jetzt fällt es mir auf. Irgendwie sind wir beide ziemlich anders geworden in letzter Zeit. Ich bin mir nur nicht sicher, ob das schon Erwachsenwerden ist oder noch Pubertät.
»Er hat mich geküsst«, sage ich schnell, ich will es nicht hochspielen.
Zoe stutzt. »Einfach so? Ohne zu fragen?«
Und ohne Zunge, falls wir jetzt schon bei den Details sind.
»Er hat mich einfach überrumpelt und …«
»Wie war es?«
»Zoe!«
Ich werde noch röter. Der Kuss war schön. Anders, als wenn Luca mich küsst, der meist sehr stürmisch ist, was ich mag. Sehr sogar. Auch beim Sex. Luca macht alles im Leben mit voller Energie. Fritz ist sanfter und sehr zärtlich und wenn ich Luca ganz und ein wenig Fritz haben könnte, dann wäre es perfekt. Jetzt bin ich so rot, dass ich meine Ohren spüre, die vermutlich glühen.
»Okay, okay, verstehe«, sagt Zoe sachlich. »Fritz ist ja auch ziemlich cool. Seine Blicke! Und er hört so gut zu. Macht er eigentlich Hanteltraining? Diese Unterarme! Also wenn ich nicht mit Robert …«
»Du bist nicht mit Robert zusammen«, werfe ich ein. »Das ist das Problem.«
Denn von mir aus können wir jetzt gerne wieder über Zoe und Robert, statt über Fritz und mich sprechen.
»Das ist kein Problem, das ist …«
»Doch, das …«
Mein Handy klingelt und wir beide verstummen. Es gibt eigentlich nur zwei Menschen, die mich am Sonntagmorgen anrufen. Der eine sitzt auf meinem Bett, der andere – Luca?
Ich springe auf, taste auf dem Schreibtisch wie eine Blinde nach meinem Handy. Wo ist es nur? Bis mir einfällt, dass ich es neben mein Bett gelegt habe, um es griffbereit zu haben, falls Luca anruft und mir erklärt, dass das alles ein Missverständnis und ein großer Irrtum gewesen ist und er wieder mit mir zusammen sein will.
Okay, ich weiß, das ist wirklich naiv.
»Hier!«, sagt Zoe und reicht mir das Handy, da ich mich wie ein Zombie orientierungslos durch mein Zimmer bewege. Ich schnappe es, ohne auf das Display zu sehen.
»Ja!«
»Ella?«
»Ja?«
»Ich bin’s. Also Malte. Und er … also du … musst kommen.«
Maltes Stimme zittert, er redet schnell und wirr, was bei den wenigen Worten schon fast ein Kunststück ist.
»Was?«
»Du musst mir glauben. Ich wollte das nicht. Aber wenn er dich sieht …«
»Wer?«
»Luca!«
Mein Herz macht einen Luftsprung, um sich kurz danach im freien Fall zu befinden, als Malte weiterredet.
»Es gab einen Unfall. Es war blöd, es ist … komm einfach her. Geht das?«
Ich stelle das Handy auf laut, halte es zu Zoe, einfach, damit ich das nicht alleine hören muss. Zoe beugt sich vor, lauscht.
»Was? Wohin soll ich kommen? Skateplatz?«, belle ich aufgeregt mein iPhone an.
»Nein, nein. Nicht Skateplatz, Krankenhaus. Fritz erreiche ich nicht. Ella, was ist, wenn er stirbt? Ich wollte das nicht.«
Zoe reißt die Augen auf, sieht mich an. Mein Zimmer zoomt zusammen, ich starre blicklos auf die Bettdecke. Ein Unfall. Mein Herz schlägt dumpf auf meinem Magen auf, mir ist übel.
»Malte? Wo bist du?«, ruft Zoe, da ich schweige, einfach nicht sprechen kann.
»Im Krankenhaus. Ernst von Bergmann. Komm einfach her, Ella.«
Kurz darauf warte ich zitternd auf ein Taxi. Zoe steigt auf ihr Rad, zögert.
»Soll ich nicht doch besser mitfahren?«
»Nein, ich ruf dich an.«
Ich wundere mich, dass ich sprechen kann, funktioniere, mein Mund sich bewegt, obwohl alles andere stillzustehen scheint.
Zoe sieht mich an, als ob ich ein Kind wäre; klein und hilflos und spricht auch so mit mir: »Okay, ich fahr nach Hause und komme mit Max oder Robert nach.«
Sie stellt ihr Rad ab, kommt zu mir, umarmt mich noch einmal, drückt mich fest.
»Ella, es wird alles gut. Er ist im Krankenhaus, das ist doch nicht das erste Mal.«
»Ja«, sage ich tonlos und ohne es richtig zu glauben. Denn warum sollte Malte so aufgelöst anrufen, wenn es wie immer ist?
Das Taxi biegt um die Ecke, es fährt im Schneckentempo. Ich habe das Gefühl, ich bin schneller, wenn ich laufe. Zoe löst sich langsam von mir.
»Bis gleich, Ella.«
Ich steige hinten ein, nenne dem Fahrer die Adresse des Krankenhauses und hoffe, dass er mich nicht anspricht, einfach fährt, so schnell es geht.
Während der Fahrt starre ich immer wieder nach vorne auf den Kilometerzähler. Zoe und ich haben unser Bargeld zusammengekratzt, fünfzig Euro müssen reichen, sonst muss ich vorher aussteigen. Meine Eltern sind spazieren, ich habe einen Zettel hingelegt, aber ich will sie nicht beunruhigen, bis ich selbst mehr weiß.
Der Fahrer ist etwa sechzig, hat eine Glatze und fährt so ruhig und gelassen, dass ich mir sicher bin, er bleibt unter dreißig Stundenkilometer. Doch wenn ich auf den Tacho sehe, dann fährt er genau fünfzig. Alles ist richtig, oder? Nein, alles ist falsch. Und ich bin schuld daran. Das ist mir vollkommen klar. Wenn ich nicht mit Fritz geflirtet hätte, dann hätte sich Luca nicht von mir getrennt, dann hätte ich ihn am Morgen zum Skateplatz begleitet oder er wäre überhaupt nicht hingefahren. Ich bin schuld. Es ist so klar, dass mir schlecht wird und ich überlege, ob ich dem Fahrer bitten soll, anzuhalten. Aber ich will nicht noch mehr Zeit verlieren. Wenn er dich sieht, hat Malte gesagt, als wäre ich die Medizin. Das hoffe ich. Aber was ist, wenn ich das Gift bin?
Wir fahren durch Zehlendorf, hier ist alles wie sonst auch, der friedliche Berliner Außenbezirk hat mir immer das Gefühl gegeben, dass die Welt in Ordnung ist. Prinzipiell. Doch gerade sehe ich nur Menschen, die nicht verstanden haben, dass die Welt untergeht, in diesem Moment, vor meinen Augen.
Als der Taxameter auf fünfundvierzig Euro klettert, beuge ich mich nach vorne.
»Ich hab nur fünfzig Euro. Fahren sie mich so weit ran, wie es geht.«
Der Fahrer sieht in den Rückspiegel.
»Schon gut, Mädchen. Ich fahr dich für fünfzig hin, kein Problem.«
Ich bin dankbar, aber die Art wie er mit mir redet, kurz und knapp und ein wenig so, als wäre ich die Verletzte, beunruhigt mich noch mehr.
Als wir angekommen sind und ich dem Fahrer die Fünfzig Euro reiche, steht Malte schon am Eingang des Krankenhauses und wartet. Ich steige schnell aus, schlage die Tür, renne.
»Wo ist er?«, frage ich und laufe neben Malte her in das Gebäude.
»Oben. Seine Familie ist gerade gekommen.«
»Wo lang?«
Malte bleibt stehen und hält mich am Arm.
»Warte, Ella.«
»Was?«
Er führt mich zu einer Bank in der Eingangshalle, auf der sein Rucksack und zwei Skateboards liegen. Ich starre auf Lucas Skateboard, suche nach Blutspuren. Das ist verrückt.
»Äh, also, hm«, nuschelt Malte leise, als dürfte es niemand hören. »Ich weiß nicht, ob du da raufgehen solltest. Sie sind alle da. Lucas ganze Familie.«
»Na und?«
»Ja, also. Ihr seid doch getrennt und …«
»Warum hast du mich dann überhaupt angerufen?«, platze ich heraus.
Er nickt zu der Sitzbank, setzt sich. Ich lasse mich zitternd neben ihn fallen. Lucas Familie. Hannah, die Fritz und Luca mit Sicherheit nicht verwechselt hat. Hannah, die in Fritz verliebt ist. Die denkt, dass ich nur mit Luca gespielt und ihm den besten Freund ausgespannt habe. Und sie verletzt habe. Okay, langsam verstehe ich. Ich sollte die Familie besser nicht treffen. Aber jetzt bin ich hier.
»Ich dachte, ich kann helfen?!«
Malte räuspert sich. »Ja, ich auch. Ich dachte, wenn er wieder aufwacht, dann …«
Ich reiße den Kopf zu Malte. »Wie? Aufwacht?«
»Na ja, er ist auf den Kopf gestürzt und war weg. Einfach weg.«
»Aber er hat einen Helm getragen, oder?«, flüstere ich.
Ich sehe zu Malte, obwohl ich die Antwort schon kenne, spüre.
Malte windet sich. »Na ja, also … bei dem Move nicht.«
Ich halte die Luft an, versuche, es mir vorzustellen und verdränge das Bild gleichzeitig krampfhaft. »Auf den Beton?«
»Nein, nein. Auf die Rampe, also das Blech.«
»Und du?« Ich werde lauter. »Hast du ihn nicht daran erinnert? Wo – warst – du?«
»Ich hab Fotos gemacht und …«
Ich springe auf, höre meine Stimme wie von ganz weit weg, aufgebracht und ironisch. »Na, klar, Fotos! Und mit Helm sieht Luca ja so viel besser aus. Dann war das also alles Scheiß, dass die im Skateshop wollen, dass er einem Helm trägt?«
Malte springt auch auf.
»Nein! Er hatte erst einen Helm auf und dann … es war heiß und, und … Verdammt, du weißt doch, wie Luca ist!«
Die Leute in der kleinen Vorhalle drehen sich zu uns um, aber das ist mir egal.
Ich packe Malte an den Oberarmen. »Was heißt das? Was ist mit Luca?«
»Mann, Ella, jetzt reg dich mal ab. Er ist nicht tot. Die machen gerade ein CT oder so und sehen nach, was verletzt ist.« Er schüttelt meine Hände ab. »Ich habe nur gedacht, wenn er aufwacht und dich sieht …«
Ich schließe die Augen, versuche, mich zu beruhigen. Schreien nützt doch jetzt nichts.
»Wir sind getrennt«, sage ich ruhig, fast kalt. »Er hat sich von mir getrennt. Wieso sollte er mich sehen wollen?«
»Weil … Na, so ist Luca eben! Er hat das überhaupt nicht so gemeint. Er mag dich. Er ist immer noch verdammt verliebt in dich.«
Ich spüre kurz, wie gut mir das tut. Es ist das, was ich wissen wollte, die ganze Zeit. Aber stimmt das?
»Er hat sich von mir getrennt.«
»Na ja, das kann man ja wohl verstehen. Die Sache mit Fritz auf dem Campingplatz. Musste das sein?«
Ich weiß, Malte denkt, Fritz hätte mit mir geschlafen.
Ich reiße die Arme hoch. »Was? Da war nichts! Und jetzt sag: Wo ist er?«
»Intensivstation.«
Mir schießen Tränen in die Augen und ein dicker Kloß in den Hals. Scheiße, scheiße.
»Dann lass uns hochgehen.«
»Aber, Ella, die sitzen alle oben und …«
»Was?«
»Ich weiß, es ist nicht gerecht, aber sie sind sich alle einig, dass das nicht passiert wäre, wenn ihr … also … noch zusammen gewesen wärt.«
Ich heule. Und bin wütend. Auch wenn ich exakt das Gleiche denke. Was mache ich überhaupt hier? Ich lasse mich auf die Bank fallen und weine. Unkontrolliert und hysterisch, ich kann nicht nachdenken und will es auch nicht.
Malte setzt sich neben mich und legt ungeschickt den Arm um mich. Ich sehe uns mit den Augen der Leute in der Halle. Sicher denken sie, wir sind ein Paar und haben Streit, dabei ist alles so viel komplizierter. So viel komplizierter.
»Und jetzt?«, schniefe ich, als ich mich etwas beruhigt habe.
Malte nimmt Lucas Skateboard und hält es mir hin.
»Kannst du das für Luca aufbewahren?«
Aufbewahren. Ich nicke. Das heißt, dass Luca es sich irgendwann abholen wird. Wieder skaten wird. Gerade klammern wir uns beide daran.
»Aber ich geh nicht weg«, schluchze ich. »Ich warte.«
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KATRIN BONGARD
LOVING HIGH FIVE
Band 5 der Loving-Serie
E-Book Seiten ISBN |
4,99 € 9,99 € 318 978-3-946494-37-9 |
New Adult – All Age – Liebe
*Intelligent & Leidenschaftlich. Stolz & Vorurteil reloaded*
Robert ist verschwunden.
Doch Ella, Luca, Zoe, Malte und Fritz finden einen Hinweis und machen sich auf die Suche.
Auf dem Roadtrip wird klar, dass nicht nur Robert unglücklich verliebt ist,
sondern es auch eine Menge zwischen den Freunden zu klären gibt.
Allen voran Ella und Luca, die immer noch viel mehr für einander empfinden,
als sie sich eingestehen wollen.
Teil 5 der Liebesgeschichte um das ungleiche Paar: Ella und Luca
Loving High Five
Eins
Robert
Keiner versteht mich. Für eine kurze Zeit dachte ich, dass mich Zoe versteht, dass wir eine echte Verbindung haben. Rückblickend war die Zeit mit ihr eine der schönsten Zeiten meines Lebens. Nach Mamas Tod. Denn eigentlich hat sich danach nichts mehr richtig gut angefühlt. Wozu leben, wenn die Menschen, die man liebt, um einen herum sterben, einen verlassen, weggehen? Einen nicht verstehen.
Ich trete noch etwas mehr auf das Gaspedal, drücke die Arme am Lenker durch. Mal sehen, was der Wagen hergibt. In der Dunkelheit fühle ich mich geborgen, sicher, unsichtbar. Auf einmal habe ich das Gefühl, dass ich nur schnell genug fahren muss, um ganz zu verschwinden. Um unsichtbar zu werden wie ein Kometenschweif, der am Himmel vorbeizieht. Ich sehe auf die Uhr im Wagen. Ich bin jetzt zwei Stunden unterwegs. Langsam wird es jemand merken, werden meine Tante und mein Onkel ihren Wagen vermissen. Denn mich – vermisst keiner. Ganz im Gegenteil. Vermutlich sind sie froh, dass ich weg bin, nach der Sache mit Ella. Mein Gott, ich war betrunken! Ich habe mich einsam gefühlt, ich habe nach jemanden gesucht, der mich versteht, der mich in den Arm nimmt. Ich weiß, das ist keine Entschuldigung. Mir ist das vollkommen klar. Deshalb bin ich heute zu Ella gegangen und habe es mit ihr geklärt. Ella versteht mich vielleicht ein wenig, weil sie auch Liebeskummer hat. Wenn sie zu Luca sieht, spüre ich, wie sich ihr Herz zusammenzieht. Wie sie nicht atmen kann, bei der Vorstellung, dass Luca und sie vielleicht nie wieder zusammenkommen. Vielleicht wollte ich deshalb die Nähe zu Ella, wollte ich, dass wir uns miteinander trösten. Aber das geht nicht. Schon klar. Nicht so. Das ist falsch.
Ich denke an Zoe. Zoe, die sich an mich schmiegt und mich verführt, weil sie Sex mit mir haben will - ohne Liebe. Alle haben ihr gesagt, sie soll sich von mir trennen, weil ich sie nur ausnutze. Weil ich nur Sex will. Aber hat mal jemand darüber nachgedacht, ob es vielleicht umgekehrt sein könnte? Ich ausgenutzt werde? Ich verliebt bin und Zoe nur mit mir spielt? Die Wahrheit ist: Ich war schon immer in sie verliebt. Schon damals, als wir Kinder waren, fand ich sie süß und stark und selbstbewusst. Ich habe jede Schokolade mit ihr geteilt. Okay, sie hat mir immer alles abgebettelt. Ich konnte ihr schon damals nicht widerstehen.
Also … seit wann bin ich eine Gefahr für Mädchen?
Ella hat sich sehr gut gewehrt. Und dann kam auch noch Malte und hat den Helden gespielt. Ich bin der Bösewicht, schon klar. Aber gleichzeitig – bin ich auch das Opfer. Zoe hat mich verlassen, niemand will etwas mit mir zu tun haben. Niemand.
Ich wechsle auf die Überholspur. Dieser Wagen macht richtig Tempo. Wie schnell? Ich drücke das Gaspedal ganz durch, spüre wie der Wagen unter mir anzieht, losschnellt. Die Spur ist frei. Ich rase. Alles fliegt an mir vorbei, es ist wie in einem Computerspiel. Ich könnte die Spur wechseln, doch eigentlich kann ich gar nichts mehr machen, jede kleine Bewegung kann mich über die Leitplanke katapultieren.
Von hinten nähert sich ein Auto. Ich ziehe den Fuß vom Gaspedal, werde langsamer, bremse sogar. Wie jämmerlich, so zu enden. Irgendwo in einem zerquetschten Wagen eingeklemmt. Wird man auch als Leiche freigeschweißt? Lohnt sich der Aufwand? Oder ist es nur Robert, den man einfach mit dem Wagen entsorgen kann. Gleich in die Schrottpresse. Warum nicht?
Ich werde langsamer, der Wagen vor mir gibt die Spur frei, aber ich habe die Lust an diesem Spiel verloren. Wenn sterben, dann richtig. Wenn etwas wagen, dann richtig. Denn wenn alles egal ist, dann öffnen sich auf einmal sehr viele Möglichkeiten, dann kann man alles machen. Denn wenn ich morgen sterbe, warum dann nicht vorher noch den größten Spaß meines Lebens haben?
Nach drei Stunden Fahrt fahre ich auf einen Rastplatz und tanke. Ich will den Wagen gut behandeln, er soll heil wieder zurückkehren. Vollgetankt, sauber. Ich will niemanden in die Sache mit hineinziehen, es ist mein Ding, aber den Wagen musste ich mir dafür leihen. Ging nicht anders.
In der Raststätte kaufe ich mir ein Snickers und Mineralwasser, ich muss sparsam mit dem letzten Geld umgehen. Ich hole mein Handy raus und spüre die Müdigkeit. Ich muss übernachten. Das war nicht unbedingt geplant, obwohl ich mir sicherheitshalber schon ein paar Hotels ausgeguckt habe, denn eigentlich war es klar, dass ich übernachten muss, als ich so spät losgefahren bin.
Von hier sind es noch drei Stunden Fahrt, aber es macht absolut keinen Sinn, im Stockdunkeln anzukommen. Schlafen im Auto ist auch keine perfekte Idee, denn ich brauche meine Kraft. Neben der Raststätte leuchtet ein Schild: Motel. Warum nicht gleich hier schlafen? Halbzeit.
Ich sehe auf die Nachrichten, die gekommen sind.
Von meiner Tante: Robert, wo bist du? Geht es
dir gut? Wir machen uns Sorgen?
Von meinem Onkel: Bitte melde dich, sonst
muss ich deinem Vater Bescheid sagen.
Keine Nachricht von Zoe. Warum auch?
Ich steige in den Wagen und fahre die paar Meter bis zum Motel, parke den Wagen und gehe in das flache Gebäude. Wenn ich ehrlich bin, dann habe ich mir das immer gewünscht: So erwachsen zu werden, dass ich mich wie ein Erwachsener benehmen kann. Frei sein, zu halten, zu parken und auszusteigen, wann und wo ich will. Niemand, der mich gängelt, niemand, von dem ich abhängig bin.
»Wir haben leider kein Zimmer mehr frei!«, verkündet das Mädchen an der Rezeption.
»Wieso nicht?«, frage ich, obwohl mir klar ist, wie dämlich die Frage ist.
»Wir sind ausgebucht. Es tut mir leid.«
Ich versuche mein charmantestes Lächeln, aber sie sieht mich nur mit einem ausdruckslosen Blick an. Okay, verstehe, das ist ein Job und selbst wenn noch irgendwo ein Zimmer ist, liegt es nicht in ihrer Hand, es mir zu geben. Klaro!
Ich gehe nach draußen zum Auto. Das war ja sowieso meine erste Option, dann schlafe ich eben dort. Sitz zurückgelegt, kein Ding.
Ich hole mein Handy heraus und überprüfe erneut, ob ich eine neue Nachricht habe. Doch es gibt nur weitere leicht hysterische SMS-Nachrichten von meiner Tante, sonst nichts. Nichts auf WhatsApp.
Nichts von Zoe. Zoe. Aber eigentlich haben wir sowieso unser eigenes System, unsere eigene Geheimsprache. Zettel und Emojis per SMS. Herzen sind verboten, alles andere erlaubt. Wenn sie mir also schreiben wird, dann so.
Nur noch zwanzig Prozent Aufladung. Ich lege das Handy weg, lasse den Sitz wieder hochschnellen und suche nach einem Auflader. Irgendwo muss der doch in einem gut sortierten Wagen liegen? Im Handschuhfach liegt nur ein vertrockneter Ökoriegel. Ich werfe den Riegel achtlos auf den Beifahrersitz und greife tief ins Dunkel. Nichts. Auch keine CDs, nur ein Kabel mit dem ich mein Handy an das Radio anschließen könnte. Aber dann ist der Akku vermutlich sofort leer. Keine Option. Ich schalte das Radio an und skippe durch die Sender. Irgendein idiotischer Teil in mir erwartet eine Suchmeldung:
Wer hat den überaus netten, sanften und sensiblen Robert gesehen? Wer kann Auskünfte zu seinem Verbleiben geben? Wir sind verzweifelt. Wir zahlen alles Geld der Welt für sachdienliche Hinweise. Robert, bitte, melde dich. Wir wissen jetzt, wie wichtig du uns bist.
Träum weiter … Ich lehne mich wieder zurück. Die Autobahn ist so nah, dass man den Verkehr wie einen reißenden Fluss hört. Wie soll man da schlafen? Aber nach einer Weile wird das Geräusch zu einem Hintergrundrauschen, ein falsch eingestellter Radiosender, der fast beruhigend vor sich hinmurmelt. Das einzige Geräusch, auf das ich jetzt noch warte, ist das Pling meines Handys. Dass Zoe sich meldet und sich entschuldigt. Ich weiß, dass man sich nicht dafür entschuldigen kann, dass man jemanden nicht liebt, aber vielleicht dafür, dass man den anderen hat glauben lassen, dass es Liebe ist. Liebe war.
Ich schließe die Augen und warte auf den Schlaf. Das funktioniert nicht, das funktioniert schon seit einigen Monaten nicht mehr. Schlafen ist wie Sterben. Auf einmal ist man weg. Und dann trifft es mich. Heftig und überraschend. Ich flenne los. Die Tränen laufen mir über das Gesicht, dann schluchze ich, öffne den Mund zu einem stummen Schrei und weine noch mehr. Mama! Alles, was ich monatelang zurückgehalten habe, bricht aus mir heraus, explodiert irgendwo in mir, eine dicke Blase von ätzender Flüssigkeit, die mir als Tränen aus den Augen läuft und heiß auf der Haut brennt. Mama … Wie konnte sie mir, uns, das antun? Einfach so zu verschwinden. Wo ist die Mutterliebe hin, wieso konnte die Krankheit sie einfach mitnehmen, wieso war ihr es lieber, zu gehen, als zu bleiben, wieso ist sie überhaupt krank geworden? Wie konnte sie mich verlassen? War es ihr nicht wichtig, für mich zu bleiben? War ich nicht gut genug? Ich lege den Kopf zurück, presse die Fäuste auf meine Augen und lasse all diese kindischen Gedanken zu, die ich mir vorher nicht eingestanden habe, weil ich dachte, ich wäre erwachsen. Groß. Könnte da einfach so drüber wegkommen.
Jemand klopft. Hämmert gegen das Beifahrerfenster und ich erstarre. Da es mir im ersten Moment wie eine göttliche Antwort auf meine Fragen vorkommt, glimmt ein kleiner Hoffnungsschimmer auf. Jemand wird mich verstehen, retten, mich von meinem Weg abhalten. Dann sehe ich, dass es das Mädchen von drinnen ist. Ich drehe den Schlüssel im Schloss und lasse das Beifahrerfenster herunter.
»Hey! Du kannst hier nicht parken. Der Parkplatz ist für die Gäste des Motels.«
Ich blinzle sie aus verheulten Augen an. »Okay.«
»Sorry!«
Sie schlurft zurück ins Motel und ich sehe ihr nach, während die Wut aufsteigt. Gibt es denn keinen verdammten Platz für mich? Echt jetzt? Ich trommle mit beiden Händen auf das Steuer, schlage es, mache es für alles verantwortlich, bis ich aus Versehen auf die Hupe komme und ein blökender Ton mich aus meiner Raserei reißt. Ja, scheiße!
Das Mädchen dreht sich vom Gebäude aus um, zeigt mir den Mittelfinger und dann mit dem Daumen auf den Parkplatz des Rastplatzes.
OKAY, VERSTANDEN. Schon wieder abgeschoben. Ich fahre den Wagen rüber und stelle mich zwischen zwei Feriencamper. Mein Blick fällt auf den Müsliriegel. Ich weiß, ich werde es bereuen, aber ich packe ihn trotzdem aus und lasse mir den staubigen Inhalt in den Mund rieseln.
Zwei
Zoe
Ich habe komplett mein Zeitgefühl verloren. Es war schon fast dunkel, als wir im Krankenhaus angekommen sind und dort drinnen sind anscheinend Jahre vergangen. Jahre, in denen mein Bruder zum Vater geworden ist und Susanna zur Mutter, in denen ein Kind zur Welt gekommen ist und Malte meine Hand gehalten hat. Alles kam mir wundersam und besonders vor, aber hier draußen auf dem verlassenen Krankenhausparkplatz um Mitternacht gibt es nur die dunkle, kalte Wirklichkeit. Wir warten auf meine Eltern, die von Monja hierhergefahren werden und wohl mit eigenen Augen sehen müssen, dass sie tatsächlich Oma und Opa geworden sind. In einer Nacht. Axel wird auch mitkommen, um den Tesla abzuholen und – wie er sagt – seinen Eltern zurückzugeben. Warum? Monja ist ständig pleite, wieso verkaufen sie den Wagen nicht und oder fahren damit in den Sonnenuntergang?
»Was ist mit Robert?«, fragt Ella, die neben mir steht und in ihrem Trägerkleidchen leicht friert. Mir ist auch kalt, keiner von uns hat an eine Jacke gedacht, als wir losgefahren sind.
Ich zucke mit den Schultern. Wenn ich an Robert denke, dann habe ich das Gefühl, schuld zu sein. Irgendwie an allem. Vielleicht nicht daran, dass seine Mutter gestorben ist, aber an allem anderen. Wieso kann ich ihn nicht lieben? Selbst wenn wir Sex hatten und er in mir drin war, hatte ich das Gefühl ein Stück weg von ihm zu sein. Und das fällt mir besonders auf, seit Malte meine Hand gestreichelt hat und ich das Gefühl hatte, zu brennen. Malte, der doch überhaupt nicht in Frage kommt. Oder? Ich sehe zu ihm und Luca herüber, wie sie beide auf einem Bein um die Wette auf dem Parkplatz herumhüpfen und Malte sich mit seiner Anzugjacke auf den Boden wirft, weil er so lachen muss. Das kann es doch nicht sein? Ich sehe nach oben, als ob von da eine Antwort kommen könnte. Gott! Wenn das mein Schicksal ist, wenn Malte der Richtige ist – was sagt das über mich?
Ich sehe zu Ella. »Was für ein Typ bin ich?«
»Wie?« Ella schreckt richtig auf. Sie sieht auch zu den Jungs, die ein paar Meter entfernt zwischen den letzten parkenden Autos herumalbern. Wahrscheinlich beobachtet sie Luca. Ella ist immer noch verliebt. Bei ihr hört das nicht auf, auch nicht, wenn Luca den größten Blödsinn der Welt macht, wenn er im Koma liegt, wenn er aufwacht. Sie bleibt verliebt.
Malte versucht, Luca auf einem Bein zu fangen. Er hat keine Chance, denn Luca ist auf einem Bein schneller. Trainiert von der ganzen Physio, die er die letzte Zeit machen musste. Sie hüpfen, lachen, fallen. Entweder es liegt an der Zigarre oder es ist die Übermüdung. Nur Fritz steht nachdenklich daneben und hält Lucas Krücke in der Hand. Aber so ist er eben. Immer vernünftig.
»Ich meine: Wer passt zu mir?«
Ella kneift die Augen leicht zusammen. »Ich passe zu dir?«,
»Ja, klar. Aber ich meine: allgemein.«
Sie sieht mich müde und etwas leer an. Wir sind alle erschöpft.
»Allgemein?« Sie folgt meinem Blick. »Oder welcher … Junge?«
»Nein, nein«, sage ich schnell, weil es, während wir zu den drei Jungs sehen, nur eine Antwort gibt. Malte. Ich sehe es auch. Er hat alles … was ich nicht habe. Eine große Klappe, starke Nerven, einen abgedrehten Humor, Armmuskeln und die Fähigkeit, aus jeder Situation das Beste zu machen. Manchmal sagt Ella das auch von mir. Sind wir uns ähnlich?
»Nein. Ich meine nicht Jungs«, sage ich. »Ich mache eine Pause, was Jungs angeht.«
»Ach ja?« Ella grinst. Ich schubse sie und sie grinst noch breiter.
»Ich versuche es.«
Ich reiße den Blick von den Jungs weg. Robert fällt mir wieder ein. Es war trotzdem eine gute Zeit mit ihm. Lustig, abenteuerlich. Und jetzt ist er weg und das macht mich traurig und sauer zugleich. Wo ist er hin? Was ist das für ein Spiel? Wenn er denkt, dass ich ihn anrufe, dann hat er sich geschnitten. Einfach das Auto meiner Eltern nehmen und abhauen. Allerdings weiß ich, dass ich mit meiner Wut nur meine Angst überdecke. Was ist, wenn er sich etwas antut? Ich habe ihn verlassen.
Ich atme entschieden aus. Vergiss es. Ich sehe zu Ella. »Kommst du nachher mit zu mir und übernachtest bei uns?«
Ella sieht überrascht auf. »Ja. Okay?«
»Meine Eltern bleiben bestimmt länger hier und Max bleibt sicher auch und ich bin dann ganz allein zu Hause.«
»Oder du kommst mit zu mir.«
»Nein, ich …« Ich bin mir nicht sicher, ob ich es Ella sagen will, aber mir ist eine Idee gekommen. Wenn sie gut ist, dann … »Ich kann vielleicht rauskriegen, wo Robert ist.«
»Ja?«
»Du kannst rauskriegen, wo Robert ist?«
Ich weiß nicht, wo Malte auf einmal herkommt, aber er hat gehört, was ich gesagt habe. »Sie weiß, wo Robert ist«, ruft er und winkt Fritz und Luca ran.
»Nein, ich … weiß vielleicht wie wir rauskriegen können, wo er ist. Vielleicht.«
Malte nickt. »Sein Handy orten?«
»Ohne die Polizei einzuschalten!«
»Das werden deine Eltern aber machen, wenn er nicht bald auftaucht.«
Wie immer hat Fritz recht.
»Wenn wir zuerst wissen, wo er ist, dann können wir ihn finden.« Ich merke sofort, wie dumm der Satz ist. Weder folgt das eine aus dem anderen, noch bin ich sicher, ob ich ihn überhaupt finden will. »Zumindest müssen wir uns dann keine Sorgen mehr machen.«
»Er fährt vielleicht einfach nur zu seinem Vater«, überlegt Ella. »Nein. Ich bin mir sehr sicher, dass das nicht sein Ziel ist. Robert hat mir oft genug gesagt, wie wenig er sich von seinem Vater verstanden fühlt und wie ihn dessen Stimmung runterzieht. Deshalb ist er ja zu uns gezogen. Aber … ich habe eine Idee. Doch dazu müssen wir zu mir fahren.«
»Kein Ding!«, ruft Malte begeistert.
Ein Wagen fährt auf den Parkplatz, Scheinwerfer blenden uns.
»Hey!«
Der alte Wagen von Monja hält neben uns, sie beugt sich aus dem offenen Fahrerfenster. Neben ihr sitzt Axel, auf den Rücksitzen erkenne ich meine Eltern. Sie quellen aus dem Wagen wie aus einer Popcornmaschine.
»Luca!« Monja winkt Luca heran, der starr etwas weiter weg auf dem Parkplatz steht. Vielleicht hat er Schmerzen. Er schwingt sich mit seiner Krücke zu ihr herüber.
Meine Mutter kommt auf mich zu und umarmt mich. »Stimmt das? Ist Max der Vater?«, raunt sie in mein Ohr. »Sie haben noch keinen Vaterschaftstest gemacht«, sage ich gereizt. Ich weiß es doch auch nicht.
Sie löst sich von mir und lacht nervös. Ich verstehe schon. So nebenbei will man nicht Oma werden, das könnte glorioser sein. Doch dann strahlt sie.
»Es ist verrückt, aber irgendwie freue ich mich.«
Mein Vater winkt meiner Mutter. »Wir gehen rein.« Er wirkt auch noch nicht restlos überzeugt, dass das alles hier real ist, aber in solchen Momenten sind meine Eltern ein gutes Team.
»Okay, ich fahr dann schon mal nach Hause!«, rufe ich ihnen hinterher.
Monja redet auf Luca ein, der schon tausendmal gesagt hat, dass er nichts mit der Schwangerschaft von Susanna zu tun hat. Es ist wohl einfach zu naheliegend, da er Susanna nach der Trennung von Ella Nachhilfe gegeben hat.
Fritz gibt Axel den Schlüssel des Teslas zurück.
»Ich kann euch alle nach Hause fahren«, bietet er an.
»Oder sie fahren mit mir mit.«
Monja drückt ihren Rücken durch. Man sieht den kleinen Bauchansatz schon und ich spüre, dass sie und Axel ihren Streit noch nicht ganz geklärt haben.
»Sorry Monja, ich bin Team Tesla«, sagt Malte, und spricht offen auf, was wir alle denken: Es ist so viel geiler in dem Tesla zu fahren, als in Monjas Schrott-Golf.
Alle bewegen sich leicht von Monjas Wagen weg und sie versteht.
»Okay, dann gehe ich rein und sehe mir das Baby an.«
Axel zögert, ob er mitgehen soll, aber Monja winkt ab. »Wir sehen uns später.« Sie klingt versöhnlicher.
Ich hoffe, dass die beiden sich wieder vertragen. Ob sie wirklich morgen heiraten werden?
»Neuigkeiten von Robert?«, fragt Axel, als wir zum Tesla gehen, der leicht schräg in einer Parklücke etwas weiter weg steht.
»Nein.«
Malte beugt sich zu mir. »Du hattest eine Idee?«
»Vielleicht.«
»Das sollten wir auschecken.«
Axel öffnet den Wagen, die hinteren Türen klappen sich hoch.
»Auf ins Raumschiff!«, ruft Malte.
Luca steigt mit seiner Krücke vorne ein, wir anderen gehen nach hinten. Malte und Fritz schieben sich nach ganz hinten, dritte Reihe, Ella und ich auf die Mittelbank. Axel geht hinter das Steuer und dreht sich dann zu uns um. »Wohin wollt ihr?«
»Zu mir«, sage ich.
»Alle?«
Ich sehe zu Ella, die mit den Schultern zuckt. Malte beugt sich von hinten zu mir vor. »Wir machen das hier zusammen. Wenn du eine Idee hast, wo Robert ist, sollten wir das zuerst bei dir klären.«
»Fahr uns zu Zoe und dann sehen wir weiter«, entscheidet Luca.
Axel nickt. Er startet den Wagen, als ob er sich genau mit ihm auskennen würde. Vielleicht hat er heimlich genau den gleichen, irgendwo in einer Garage. Er hat auch Arzberg-Geschirr und ein teures Fahrrad. Ich habe eine Theorie: Er ist heimlich superreich und verbirgt es vor Monja. Nicht nur seine Eltern, auch er ist reich. Ich beuge mich zu ihm vor. »Verkauft ihr den Wagen wieder? Warum?«
»Es ist kein Geschenk, es ist eine Falle«, sagt Axel.
»Wieso?«
»Meine Eltern neigen leider dazu, andere mit ihrem Geld zu manipulieren. Ich – wir – wollen das nicht.«
»Warum manipulieren? Ihr könnt doch damit machen, was ihr wollt.«
Wenn meine Eltern so pingelig mit ihren Kunden wären, könnten sie den Laden zumachen.
»Ja, verkauft ihn doch, wenn ihr ihn nicht haben wollt«, ruft Malte von hinten.
»So einfach ist das nicht«, sagt Axel und macht das Radio an. Falling für You von Jaden und Justin Bieber. Ich liebe den Song. Ella lacht mich aus, wenn ich ihn in Dauerschleife höre, aber er macht mir immer gute Laune. »Mach lauter!«, sage ich zu Axel.
Er dreht auf. »Tanzen!«
Ella lächelt, macht aber mit. Wir schnipsen und swingen im Sitzen auf der Mittelbank hin und her. »Los, mitmachen!«, sage ich zu Malte und Fritz. Fritz verdreht die Augen. Malte grinst, hebt die Arme hoch, bewegt sie im Takt.
»Luca!«, sage ich. Er schaut nach hinten zu uns und lacht. »Mach mit!«
Und wir swingen gemeinsam zu meinem Lieblingssong.
»Soll ich draußen warten?« Axel hält vor unserer Wohnsiedlung. »Aber macht nicht zu lange, denn Luzy wartet und ich will bald wieder zurück sein.«
Ich überlege kurz. »Wollt ihr bei mir übernachten?«, frage ich in die Runde. Luca sieht kurz zu Ella, dann zu Fritz, der mit den Schultern zuckt. Beide Jungs sehen zu Malte. »Ich hab’ keine Zahnbürste dabei …« Meint er das ernst? Die anderen lachen.
»Ich kann dir eine geben.«
»Essen wäre auch eine gute Idee«, bemerkt Fritz.
Ich nicke zu Axel. »Du kannst fahren. Danke, fürs Herbringen.«
Das Haus ist ruhig und leer. Ich frage mich zum ersten Mal, wo Susanna mit dem Baby wohnen will. Luca hat erzählt, sie teilt sich ein Zimmer mit ihrer Schwester. Das geht jetzt nicht mehr. Wird sie hier einziehen?
»Was jetzt?«, fragt Fritz sachlich.
Malte sieht sich um. »Was ist mit deiner Idee?«
Ich überlege kurz. »Geht ihr in die Küche und kocht was. Ich versuch das rauszufinden.«
Ella folgt mir nach oben in mein Zimmer, die Jungs gehen in die Küche.
Mein Zimmer ist leicht verkramt.
Ella schließt die Tür hinter uns. »Was ist das für eine Idee?«
Auf dem Schreibtisch steht mein Laptop. Ich gehe direkt darauf zu, klappe ihn auf.
Ella versteht. »Hat Robert den immer benutzt?«
Robert hat alles in meinem Zimmer benutzt, aber darauf will ich jetzt nicht näher eingehen.
»Ja.«
Sie schiebt sich aufgeregt neben mich. Ich öffne den Browser und atme kurz ein, bevor ich in den Verlauf gehe. Und da ist es.
»Europabrücke?« Ella starrt mit mir auf die Google-Wegbeschreibung. »Was will er denn da?« Sie überlegt kurz. »Fährt er nach Italien? Zu eurem Ferienhaus?«
»Nein, nein. Dann hätte er den Ort in Italien gegoogelt.«
»Aber es ist doch auf der Strecke. An der Grenze zu Österreich.«
»Ella, du verstehst das nicht!«
»Was?«
Ich klappe den Laptop zu und springe auf. Das macht mich so wütend!
»Er wollte, dass ich das finde, er wollte das!«
»Ja? Was findet?«
Ella kommt mir sehr unschuldig und rein vor. Ich fühle mich schmutzig. Ella weiß nicht, wie oft ich in letzter Zeit gelogen habe, wie groß dieses Spiel zwischen Robert und mir geworden ist. Hier eine kleine Lüge, dort ein sich Wegstehlen. Robert hat mir ganz oft kleine Briefe geschrieben und zugesteckt oder sie in meinem Zimmer versteckt. Hinweise, wann wir uns treffen und wie. Kleine … Liebesbotschaften. Er hat mir Emoji-Nachrichten geschickt und ich musste raten, was es bedeutet. Nichts ist zufällig zwischen uns, alles ist geplant.
Ich schiebe beide Hände in meine Haare, ziehe sie nach oben, bis es wehtut. »Er will, dass ich weiß, dass er da hinfährt …«
»Aber … wieso? Und was will er da?« Aber schon während Ella fragt, weiten sich ihre Augen. »Du denkst doch nicht …« Wir googeln zusammen die Europabrücke. »190 Meter!«
Ella setzt sich langsam auf mein Bett. Vielleicht hat sie die Sache im ersten Moment verwirrt, aber jetzt arbeitet ihr Gehirn.
»Er will also, dass du weißt, dass er da ist. Dass er sich dort vielleicht … runterstürzt. Also will er, dass du ihn davon abhältst. Oder?« Sie sieht mich fragend an.
Ich nicke langsam. »Oder er will sich umbringen und will, dass ich es weiß. Und nichts dagegen tun kann.«
»Nein, nein!« Eine steile Falte erscheint auf Ellas Stirn. »Das glaube ich nicht.« Sie beißt auf ihrer Unterlippe herum. »Hat Robert die Brücke mal erwähnt? Hat sie eine Bedeutung in seinem Leben?«
»Nein?«
Ella steht auf und läuft im Zimmer rum. »Die Polizei dort zu verständigen, macht keinen Sinn …«
»Auf keinen Fall!«
Ella bleibt stehen. »Ruf ihn an.«
»Was? Nein!«
Sie sieht mich ernst an.
»Ella! Er spielt ständig diese Spielchen mit mir. Er hat mich ja auch nicht angerufen, er ist einfach gefahren.«
Sie hält mir ihr Handy hin. »Versuch es. Es ist das Einfachste.«
»Er wird nicht antworten.«
»Versuch es trotzdem.«
Ich nehme mein Handy. Ella hat recht, ich muss ihn abhalten, auch wenn das alles nur eine riesige Theateraufführung ist. Ein Drama à la Robert. Nur aufgeführt, um mich zu beeindrucken oder zu bestrafen. Und natürlich kenne ich die Rolle, die ich in diesem Drama spielen soll. Ich lasse es zweimal klingeln, aber es ist immer nur die Mailbox dran.
»Sende ihm eine Nachricht«, sagt Ella.
Sie klingt klar und sicher, als ob sie einen Plan hätte.
»Was? Und wieso?«
»Damit wir ihn beschäftigen. Weißt du, einen Selbstmörder, der auf der Brücke steht, den muss man auch beschäftigen. So lange mit ihm reden, bis er wieder runtersteigt oder die Lust verliert. So müssen wir es jetzt auch machen. Du sendest ihm Nachrichten. Nette Nachrichten.«
»Ich werde nicht lügen!« Was wirklich ein Witz ist, da ich die letzte Zeit nur gelogen habe. Das musste enden. Aber ich verstehe Ellas Plan. Sie denkt, Robert will sich wirklich umbringen. Und ich gebe zu, dass es möglich ist. Und solange ich ein Gespräch mit ihm führe, selbst wenn es einseitig ist, gibt es Verhandlungsspielraum.
Ella sieht mich erwartungsvoll an.
»Nur wenn du auch eine Nachricht an ihn schickst«, sage ich bockig. Denn wenn das am Ende alles nur ein mieser Trick von Robert ist, um mich zu manipulieren … Wenn er vielleicht nur irgendwo in Berlin rumsitzt und sich freut, dass wir hier ausflippen …
»Ich?«
Ich nicke. »Ja, Ella, weil er dich mag. Er hat dich angemacht.«
»Ich denke nicht, dass es da um mich ging.«
»Und ihr habt euch auf dem Polterabend sehr gut verstanden. Er hat sich bei dir entschuldigt, dir Getränke geholt.«
»Polterabend, Folterabend …«, sagt Ella mit düsterer Stimme.
»Luca?«, frage ich vorsichtig.
Sie blickt auf ihr Handy. »Okay, Ich mache es, wenn du es machst.«
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KATRIN BONGARD
LOVING SIXTH SENSE
Band 6 der Loving-Serie
E-Book TB HC Seiten ISBN |
4,99 € 9,99 € 22,00 € 268 978-3-946494-60-7 |
New Adult – All Age – Liebe
*Intelligent & leidenschaftlich. Stolz & Vorurteil reloaded.*
Ella und Luca sind getrennt, sehen sich aber täglich in der Schule.
Doch der Versuch, ihre Beziehung in eine Freundschaft zu verwandeln, funktioniert nicht wirklich.
Das wird besonders deutlich, als Ella Hugo kennenlernt, der ebenso charmant und humorvoll wie Luca ist und dazu noch reich, Ella ist fasziniert.
Und muss eine Entscheidung treffen.
Teil 6 der Liebesgeschichte um das ungleiche Paar: Ella und Luca